Politik

Immer mehr Fälschungen nachgewiesen

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Keine Tonbänder, wenig Fotos – für seine Reportagen musste Claas Relotius (33) beim „Spiegel“ kaum Belege abliefern.

Dabei sind manche Fälschungen leicht überprüf- und widerlegbar.

Zwei Bewohner der US-Kleinstadt Fergus Falls im Bundesstaat Minnesota zeigen das. Sie entlarven etliche Lügen, die sich in einer zehnseitigen Reportage über „typische“ Trump-Wähler in dem Ort finden.

▶︎ Über den tatsächlich in Fergus Falls lebenden Andrew Bremseth (27) schreibt Relotius: „Er war noch nie mit einer Frau zusammen. Er war auch noch nie am Meer.“

Tatsächlich hätte der „Spiegel“ diese Erfindung leicht enttarnen können: Auf dem Facebook-Account von Bremseth findet sich ein Foto von ihm mit seiner Frau am Meer.

▶︎ Relotius erzählt aus Fergus Falls auch von einem Kino, in dem sich kaum jemand für den anspruchsvollen Tanz-Film „La La Land“ interessiere, während der Kriegsfilm „American Sniper“ ausverkauft sei. Tatsächlich lief dieser Film im genannten Zeitraum überhaupt nicht.

▶︎ Relotius schreibt auch über Neil Becker: einen Mann, der Hanteln stemme, breite Schultern und immer schwarze Hände habe. Doch in der Stadt wohnt kein solcher Neil Becker.

Auf dem Foto, das ihn zeigen soll, ist der frühere Besitzer eines Fitness-Studios zu sehen. Sein Vorname: Doug. Schwarze Hände von der Arbeit hat er nicht.

Und auch in anderen großen Reportagen konnten Relotius Betrug nachgewiesen werden.

▶︎ In „Jaegers Grenze“ erzählt der Autor über eine US-Bürgerwehr an der Grenze zu Mexiko. Im Mittelpunkt der Story: ein angeblicher Veteran mit Kampfstiefeln und Helm, der „Stärke“ und „Stolz“ auf seine Handrücken tätowiert habe. Kampfname: „Jaeger“.

  • Fake-Reporter Claas Relotius

    Wie der Spiegel die „Weiße Rose“ missbrauchte

    Auch das aufsehenerregende Interview mit Traute Lafrenz (99), letzte Überlebende der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, war gefälscht.

  • Kollege des Fake-Reporters

    „Ich wusste, dass er lügt“

    Claas Relotius’ Kollege Juan Moreno hat die Lügen in den Reportagen des „Spiegel“ aufgedeckt. Der SZ gab er jetzt ein Interview.

Doch der auf Fotos gezeigte Mann ist ein anderer. Er wird nicht „Jaeger“ genannt, trägt keine Tattoos auf seinem Handrücken. Und hat nach eigenen Angaben Relotius nie getroffen.

▶︎ Ein weiteres Foto dieser Story zeigt – anders als es scheint – nicht etwa einen der Männer, mit denen Relotius gesprochen hat. Sondern die Hauptfigur einer Oscar-nominierten Dokumentation. Das Foto ist zwei Jahre alt.

▶︎ Ähnlich in der Reportage „Die letzte Zeugin“: Darin geht es um die Amerikanerin Gayle Gladdis, die durchs Land reise, um Hinrichtungen zuzuschauen. Doch die angebliche Busfahrt von Relotius mit ihr fand nie statt. Auch das Foto, auf dem angeblich Gladdis zu sehen ist, zeigt wohl eine andere Frau.

Waren die erfundenen Geschichten Propaganda?

Schlichte Fälschung oder gezielte Propaganda?

Fakt ist: Bei den erfundenen Reportagen des „Spiegel“-Reporters Claas Relotius werden mit schönen Episoden harte politische Botschaften an den Leser gebracht.

▶︎ In der Geschichte über eine Trump-wählende US-Kleinstadt erfindet er am Ortseingang ein Schild mit der Aufschrift „Mexikaner haut ab!“, dichtet den Bewohnern Hinterwädler-Klischees an. Botschaft: Trump-Wähler sind bornierte Rassisten.

  • Warum macht der „Spiegel“ das?

    Reporter als psychisch krank dargestellt

    „Ich bin krank, und ich muss mir jetzt helfen lassen“, zitierte der Vize-Chefredakteur den Reporter im Bericht zum Fälschungsskandal.

  • Kommentar

    Wer sich jetzt freut

    Dass ein Journalist seine Leser, seine Kollegen und seinen Verlag betrügt, ist kein Grund zur Freude.

▶︎ Im Report über zwei syrische Kriegskinder träumen diese nachts von Angela Merkel. Holzhammer für: die gute Kanzlerin der Migranten.

▶︎ Die letzte Überlebende der Widerstandszelle „Weiße Rose“ (siehe oben) lässt er gegen die AfD wettern. Selbst NS-Überlebende missbraucht Relotius als Werbeträger für seine politische Botschaft.

Jetzt wissen wir, dass #Relotius auch entscheidende Teile dieser Passage im #TrauteLafrenz Itv erfunden hat. Er hat sie missbraucht, um seine eigene Haltung zu transportieren. Das beschämt mich. Und unseren gesamten Berufsstand https://t.co/mJNHAu7W6M https://t.co/JcB8hEtD9q

— Andreas Petzold (@andreaspetzold) December 20, 2018

Journalist Andreas Petzold schreibt auf Twitter: „Jetzt wissen wir, dass #Relotius auch entscheidende Teile dieser Passage im #TrauteLafrenz Itv erfunden hat. Er hat sie missbraucht, um seine eigene Haltung zu transportieren. Das beschämt mich. Und unseren gesamten Berufsstand .“ Angehängt hat er einen Tweet aus dem September. In diesem lobte er das Interview von Relotius mit Traute Lafrenz, schrieb damals, dass es ihn „tief berührt“.

Das bittere Fazit von TV-Moderator Jörg Thadeusz (50, Foto) auf Twitter: „Wir haben den Journalismus, den wir haben, weil wir ihn so wollen. Weil wir es so richtig finden. Weil wir uns gerne für unseren Gratismut feiern und uns Bestnoten für eine Haltung geben, die wir keiner Diktatur entgegentrotzen müssen. Die dümmlichen Verschwörungstheorien von Rechtspopulisten von der zentral gelenkten Journaille gönnen uns eine Opferhaltung, in der wir vor jeder berechtigten Kritik in Sicherheit sind.“

„Davor ist niemand gefeit“, sagt Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Uni Mainz. „Wir alle ziehen Informationen vor, die uns bestätigen, im Gegensatz zu denen, die uns widerlegen.“

Härter geht Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger von derselben Uni mit dem „Spiegel“ ins Gericht: „Der Informationsgehalt der gefälschten Geschichten geht gegen null. Verkauft werden Emotionen statt Informationen.“

Und: „Es ist vollkommen egal, ob es so gewesen ist oder nicht“, sagt Kepplinger. „Geschichtenerzählen ist eine Kunst, kein Journalismus. Der Versuch, Auflagenverfall mit Emotionen zu stoppen, ist ein Irrweg. Im Gegenteil: Das zerstört den Markt.“

Vertrauensverlust kaum wieder gutzumachen

Trotz des gewaltigen Medienechos zum Fall des „Spiegel“-Fälschers Claas Relotius hält sich die Politik mit Stellungnahmen zurück.

Medienexperte Johannes Selle (CDU) zu BILD: „Immer wieder werden Medien für ‚Fake News‘ und als ‚Lügen-Presse‘ kritisiert. Jetzt ist der renommierte ‚Spiegel‘ davon tatsächlich betroffen. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die einen allgemeinen Werteverlust in der Gesellschaft beklagen und die den Medien Lügen vorwerfen. Es wird schwer sein, den Vertrauensverlust, der dadurch entstanden ist, wieder gutzumachen.

Nur die rechtspopulistische AfD fühlt sich in ihrer generellen Medien-Kritik bestätigt. Fraktionschefin Alice Weidel schrieb auf Twitter über den „Spiegel“ von „gesinnungsethisch gefärbtem Meinungsjournalismus“.

  • Weil sein Kind abgelehnt wurde

    AfD-Politiker will mit Waldorfschule verhandeln

    Ein Kind (5) bekam keinen Platz an der Wunsch-Schule – wegen der politischen Gesinnung seines Vaters. Der will das nicht akzeptieren.

Die FDP lobt die Offenheit des „Spiegel“ in der Affäre. Parteichef Christian Lindner twitterte: „Die Debatte im #qualitätsjournalismus nach dem Fall #relotius ist beachtlich. Sie spricht für unser System der freien Medien, die oft zur Selbstkorrektur und Selbstreflexion fähig sind – das ist das Gegenteil von #fakenews.“

Und Frank Überall, Chef des Deutschen Journalistenverbands (DJV), warnt: „Der vermeintliche Reporter hat nicht nur dem ‚Spiegel‘ großen Schaden zugefügt, sondern die Glaubwürdigkeit des Journalismus in den Dreck gezogen.“

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