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Angehörige fordern Rückkehr deutscher ISIS-Anhänger

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Knapp zwei Dutzend Angehörige deutscher ISIS-Mitglieder demonstrierten am Montag vor dem Auswärtigen Amt. Ihre Forderung: Die Bundesregierung soll ihre in Nordsyrien inhaftierten Verwandten nach Deutschland zurückholen, insbesondere die Kinder, da diese besonders unter den katastrophalen Verhältnissen in den kurdischen Camps leiden.

Anaya A. ist mit ihren Eltern zur Demonstration gekommen. Die Bremerin sorgt sich um ihre Schwester und Nichten, die in nordsyrischen Flüchtlingslagern festgehalten werden, darunter auch ihre Nichte Safiya, die in Bremen geboren und im Alter von fünf Jahren von ihrer Mutter in das Gebiet des „Islamischen Staats“ gebracht wurde.

Erst vor wenigen Tagen hatte BILD mehrere Fotos des Mädchens bekommen: Safiya leidet wie viele Kinder in den Camps an Hautleishmaniose, einer durch Mücken übertragenen Infektionskrankheit, die Geschwüre auf der Haut hervorruft. Als BILD Anaya A. die aktuellen Fotos ihrer Nichte zeigt, ist die Bremerin geschockt: „Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung den Kindern nicht hilft, es sind doch auch deutsche Staatsbürger.“

Die Familie A. stammt aus Afghanistan, Vater und Mutter kämpften einst gegen die Taliban und mussten schließlich vor den Islamisten fliehen.

Doch in Deutschland radikalisierte sich Sohn Nabil A. „Er ging in Bremen in die al-Furqan-Moschee“, erzählt der Vater. Dort schloss sich Nabil dem dschihadistischen Zirkel um den Hassprediger Rene-Marc S. an – und heiratete dessen Schwester Vivien. Im Januar 2014 reisten die beiden Bremer mit ihrer Tochter Safiya und weiteren Kindern in die Türkei – auch Anayas Schwester Yalda folgte ihrem Bruder. „Sie dachte, es geht nur zum Urlaub in die Türkei“, sagt Anaya. „Sie war nicht islamistisch gesinnt.“ Am 2. Februar 2014 wurde Nabil A. in der nordsyrischen Stadt Tell Abyad als ISIS-Kämpfer registriert, so steht es in seinem Personalbogen der Terrormiliz, der BILD vorliegt.

Als seine Schwester Yalda realisiert habe, dass sie in Syrien sei, habe sie mehrere Fluchtversuche unternommen, diese seien jedoch alle gescheitert. Während Nabil A. nach kurzer Zeit in Syrien stirbt, wird Yalda verheiratet. Die Familie versucht aus Deutschland alles, um sie zurückzuholen: „Wir sind immer wieder zur Polizei gegangen, haben das Auswärtige Amt verständigt. Ich selbst bin in die Türkei geflogen und habe auch dort die Polizei informiert, aber niemand konnte helfen“, sagt Anaya A.

Schließlich gelingt es ihrer Schwester Yalda, sich mit den Kindern den Kurden zu ergeben. Genau wie ihre Schwägerin Vivien S. wartet sie nun auf eine Rückführung nach Deutschland – doch das Auswärtige Amt verschickt an die Angehörigen seit Jahren Emails mit ähnlichem Inhalt: Man könne in Nordsyrien nicht tätig werden, da man keine Botschaft in Damaskus unterhalte.

Auch die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, die diese Sprachregelung im Auftrag ihrer Vorgesetzten verschicken müssen, dürften deren Wahrheitsgehalt anzweifeln: Schließlich haben andere Staaten wie Frankreich, die USA oder zuletzt der Kosovo bereits festgesetzte Staatsbürger zurückgeführt, obwohl diese Staaten keine Botschaft in Damaskus haben. Auch könnte das Auswärtige Amt den in Nordsyrien tätigen Bundesnachrichtendienst per Amtshilfe-Ersuchen dazu bewegen, deutsche Staatsangehörige in das Nachbarland Irak zu bringen, wo sie konsularisch betreut würden.

Nadja Z. aus Hamburg, die die Demonstration mitorganisierte, nennt diese Taktik des Auswärtigen Amtes als den Grund für die Demonstration: „Unsere Emails mit Fragen zu unseren Angehörigen wurden entweder ignoriert oder nur sehr kurz und knapp beantwortet.“

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    Sie schloss sich ISIS an, flüchtete dann mit ihren drei Kindern vor der Terrorgruppe und fürchtet jetzt um das Leben ihres Babys.

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    „Bitte holen Sie meine Tochter zurück!“ – diesen Satz schreibt Danisch Farooqi immer wieder an verschiedene Behörden.

Nadjas Bruder Bilal schloss sich im September 2014 ISIS in Syrien an, auch sein Personalbogen liegt BILD vor. Nach kurzer Zeit starb auch Bilal Z. in Syrien, seine ebenfalls aus Hamburg stammende Frau Merve A. und die gemeinsamen Kinder sitzen nun in einem nordsyrischen Camp fest. „Ich kenne die Kinder nur von Fotos und Videos“, sagt Nadja Z. „Die Kinder müssen schnellstmöglich dort rausgeholt werden, sie sind in jedem Fall unschuldig und in großer Gefahr.“

Die Versorgungslage in einigen Camps ist tatsächlich dramatisch: Vor allem im Camp al-Hawl, wo mittlerweile mehr als 75 000 Frauen und Kinder untergebracht sind, brechen aufgrund der schwierigen hygienischen Umstände und der mangelnden medizinischen Versorgung immer wieder Krankheiten aus.

Zudem sind die kurdischen Sicherheitskräfte auch mit der schieren Anzahl der Personen überfordert, unter denen sich auch noch viele ISIS-Anhängerinnen befinden. Vor allem Dschihadistinnen aus dem Kaukasus und Nordafrika üben gewaltigen Druck auf andere Frauen aus, die vor ISIS geflohen sind. So kontrollieren mittlerweile im eigentlich gesicherten Bereich des Camps wieder „Sittenpolizistinnen“, ob auch alle Frauen die korrekte Vollverschleierung tragen.

Bei tatsächlichen oder vermeintlichen Verstößen kommt es zu gewalttätigen Übergriffen, mitunter zünden die ISIS-Anhängerinnen wohl auch die Zelte derjenigen an, die sie zu Abtrünnigen erklären. Am vergangenen Wochenende kam es nach BILD-Informationen erneut zu Zusammenstößen in dem Camp, auch mehrere deutsche Frauen wurden demnach von ISIS-Anhängerinnen massiv bedroht, bis schließlich die kurdischen Sicherheitskräfte mit Schusswaffen eingriffen.

Für den Hamburger Danisch Farooqi, der die Organisation der Demonstration übernahm, dauert der Albtraum bereits seit 2014 an. Seine Ex-Frau entführte die gemeinsame Tochter Aaliya nach Syrien zu ISIS, sie lebt mittlerweile ebenfalls in einem nordsyrischen Camp. Doch obwohl Farooqi das Sorgerecht zugesprochen wurde, unternehmen deutsche Behörden nichts, um das mittlerweile schulpflichtige Mädchen zurückzuholen.

Dass das Auswärtige Amt die Notlage seiner Tochter ignoriert, ist für Farooqi schwer zu begreifen. „Ich fühle mich als Bundesbürger völlig ohnmächtig, hilflos und alleingelassen. Das Auswärtige Amt ist eigentlich verpflichtet, meiner Tochter zu helfen, sie ist deutsche Staatsbürgerin und im Ausland in einer Notlage.“

Die Korrespondenzen, die Farooqi seit Jahren mit den deutschen Behörden führt, zeigen auch die Hilflosigkeit der Sachbearbeiter im Auswärtigen Amt: Sie sind weisungsgebunden an die Vorgaben ihrer Vorgesetzten, letztendlich also der Bundesregierung, und dürfen nur mit den immer gleichen Floskeln antworten.

  • FDP-Politiker fordert

    Deutschland soll seine Islamisten zurückholen

    Dutzende deutsche Staatsbürger wurden von kurdischen Kämpfern gefangen und sitzen in Nordsyrien fest.

  • Warten auf Rückführung

    Kinder deutscher ISIS-Mitglieder in Syrien

    Gut 60 deutsche Kinder sitzen im nordsyrischen Kriegsgebiet fest. Der FDP-Politiker Stephan Thomae fordert ihre Rückführung.

Auch wenn es bislang keine Anzeichen für ein Umdenken der Bundesregierung gibt, zieht Danisch Farooqi ein eher positives Fazit der Demonstration: Nach Jahren vertröstender Emails durfte er am Montag einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes persönlich eine Unterschriftenliste der Angehörigen überreichen: „Es war ermutigend, endlich mal mit jemandem von Angesicht zu Angesicht sprechen zu können.“

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