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„Wir haben ein digitales Abitur gemacht“

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Diese Schüler haben ihre Abiprüfung nicht abgegeben. Sie haben einfach gespeichert. Während in vielen Schulen ungenutzte Smartboards hängen, legten die Abiturienten der Potsdamer Voltaireschule die Prüfungen digital ab. Im Fach Deutsch interpretierten sie Theodor Fontanes Roman „L’Adultera“ am Rechner.

„Nur 2 von 21 Schülern wollten die Prüfung lieber per Hand schreiben“, sagt Björn Nölte (47), Oberstufenkoordinator und Lehrer für Deutsch und Geschichte. In beiden Fächern entschieden sich insgesamt 70 Prüflinge für die digitale Bearbeitung der Aufgaben.

▶︎ Dazu richtete ein Systemadministrator des Bildungsministeriums Extra-Anmeldekonten an den Schulrechnern ein – natürlich ohne Internetzugang, damit nicht im Netz gespickt werden konnte.

Abiturient Leon Maut (18) fand die digitale Prüfungssituation entspannter: „Wenn man etwas auf Papier schreibt, steht es fest. Auf dem Computer kann man erst ein Leerzeichen lassen und den Gedanken später ergänzen.“ Oberstufenkoordinator Nölte: „Für die Schüler ist es normal, auf Papier und Stift zu verzichten und komplett digital zu arbeiten.“

Seit zwei Jahren nutzen die Oberstufenschüler in den Fächern Mathematik, Deutsch und Geschichte Chromebooks, aber auch iPads, stationäre Schul-PCs oder ihre privaten Laptops. So können zum Beispiel alle im Unterricht zeitgleich in einem Dokument arbeiten.

Für den ­Lehrer wird der Lernprozess sichtbarer, er kann individuelles Feedback geben: per Kommentarfunktion, im Audio-Format, als Video.

Die digitalen Möglichkeiten geben Lehrern die Chance, ihre Rolle neu zu definieren: „Man ist nicht mehr Urteiler und ­Bewerter, sondern Trainer und Begleiter der Schüler“, so Nölte. Das verändere die Beziehung zu den Schülern: „Man experimentiert und beschreitet zusammen neue Wege.“

Mittlerweile arbeiten an der Voltaireschule schon die Fünftklässler in einigen Fächern digital. Die Schüler sind motivierter, die Lernergebnisse besser. Die Voltaireschule hat die Geräte selbst organisiert.

Vor allem die Zusammenarbeit mit Internetriese Google, dessen System „Classroom“ die Schüler benutzen, ruft Kritiker auf den Plan. Der Vorwurf: Man hole sich den Datensammler Google ins Klassenzimmer. Nölte kontert: „Wir machen das, damit junge Leute sinnvoll etwas lernen und nicht, damit Regeln aus dem Kaiserreich fortgeführt werden.“

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Die allgegenwärtigen Smartboards betrachtet der engagierte Pädagoge mit Skepsis: „Smartboards sind nur gut für Politiker, um sich davor fotografieren zu lassen. Es sieht beeindruckend aus, aber die Funktionalität nutzt man nicht. Man braucht nur
einen guten Beamer und Endgeräte.“

Lehrer Nölte korrigierte die Abi-Klausuren ebenfalls digital auf dem Tablet. Trotzdem wurde er am Ende von der analogen Gegenwart des Schulsystems eingeholt: Nach der Korrektur mussten sämtliche Klausuren ausgedruckt werden, um sie ordnungsgemäß im Schularchiv ablegen zu können.

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