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So fühlt es sich an, mitten im Raketen-Terror zu sein

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Israelis zwischen Verunsicherung und Trotz: „Wir lassen uns nicht von Terroristen einschüchtern“

Die Musik im Radio wird unterbrochen. Sirenen tönen durch aus den Lautsprecher, eine Computerstimme sagt den Namen der israelischen Stadt durch, die gerade unter Raketenbeschuss aus Gaza steht.

Seit zwei Tagen regnet es vor allem Raketen auf Beersheba, Ashdod, Aschkelon und Rehovot. Seit Samstagmorgen wurden mehr als 600 Raketen von Gaza aus auf Israel abgefeuert, vier Israelis starben, so schlimm war die Lage seit dem Gazakrieg 2014 nicht mehr.

Die Bevölkerung im Süden des Landes leidet: Am Samstag, dem Ruhetag im Land, mussten sich Kinder während eines Fußballspiels auf den Rasen schmeißen, sich schützend die Hände über die Köpfe halten. Ähnliche Bilder bei einer Hundeshow.

Menschen übernachten in Schutzbunkern

Die Nacht verbrachten die meisten Menschen in Schutzbunkern, Schulen blieben am Sonntag – in Israel ein normaler Werktag – geschlossen. Aus gutem Grund: Die Raketen treffen einen Kindergarten, ein Krankenhaus und einen Bus. Außerdem eine Fabrik, in der drei Menschen schwer verletzt wurden und ein Mann starb.

Dieser Mann, der vierfache Vater Moshe Agadi (58), der bei einem Angriff auf sein Haus am Sonntagmorgen ums Leben kam, wird bereits am Nachmittag beerdigt. Am Eingang zum Friedhof verteilen Soldaten Flyer – mit einer Anleitung zum Überleben: Es wird erklärt wie man sich im Fall eines Raketenalarms während der Beerdigung verhalten soll. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Alarm ertönt ist sehr hoch,“ sagt die Soldatin. Im Schutzraum wird nicht genug Platz sein, man soll sich im Ernstfall zwischen die Grabsteine ducken und beten.“

Der Alarm bleibt aus, doch zwischen das Weinen der Angehörigen mischen sich im Hintergrund explodierende Raketen an der Grenze zu Gaza, man spürt die Erschütterungen am ganzen Körper.

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Patienten unter Schock

Unweit steht das nächstgelegene Krankenhaus der Region, das am Mittag seine Onkologie innerhalb von 30 Sekunden evakuieren musste. Die 20 Patienten stehen alle unter Schock: „Wir wissen was zu tun ist, leider sind wir diese Angriffe gewöhnt aber für die Patienten ist es eine Tortur“, sagt die stellvertretende Pressesprecherin Roxan Kosokaro.

Auch Tanja (31), die im siebten Monat mit Zwillingen schwanger ist, und ihr Mann Michael stehen unter Schock: „Die Nacht war schlimm und sehr anstrengend, wir mussten ständig ins Treppenhaus laufen, weil wir keinen Schutzraum haben“. Sie habe Angst, dass die Wehen durch den Stress früher als geplant eintreten.

Zwei Männer auf Pferden reiten durch die Stadt. Ob sie keine Angst haben? „Wir sind Israelis, wir haben keine Angst“, gibt sich Yossi (31) kämpferisch.

Gefährdet der Raketenterror den ESC?

Im Radio wird weiter die aktuelle Lage diskutiert. Premierminister Benjamin Netanyahu schickt mehr und mehr Truppen an die Grenze nach Gaza. Doch der gerade wiedergewählte Politiker hat ein Problem: zum einen erwarten die Menschen im Süden, dass Israel sich konsequent verteidigt, zum anderen steht der Nationalfeiertag bevor – und in eineinhalb Wochen findet der Eurovision Songcontest in Tel Aviv statt, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Kann der internationale Musik Contest überhaupt stattfinden?

Eine Nachbarin des getöteten Moshe Agadi (58) zu BILD: „Ich denke im Moment nicht an den Eurovision. Bibi soll einfach etwas tun, damit das alles endlich ein Ende hat“. Kobi (35) dagegen sagt: „Natürlich soll der ESC stattfinden, wir müssen der Welt zeigen, dass wir uns nicht von Terroristen einschüchtern lassen“. Und der Tel Aviver Student Micha: „Am Ende werden wir hier feiern, ganz egal, was die Hamas sagt; das ist Israel“.

„Wir können derzeit nicht abschätzen, wie es weitergeht. Wir müssen Tag für Tag abwarten“, sagt Mickey Rosenfeld, Pressesprecher der israelischen Polizei.

Über diese Situation ist sich die Terrororganisation Hamas bewusst, gibt sich kämpferisch, verlangt Geld für einen Waffenstillstand und droht sonst auch die Region rund um Tel Aviv anzugreifen, um die israelische Regierung unter Druck zu setzen.

Die Radiosendung wird wieder unterbrochen, doch dieses Mal schallt die Sirene nicht nur durch die Lautsprecher, sondern in direkter Umgebung. 30 Sekunden, um Schutz zu finden. Alle Autos machen eine Vollbremsung, Menschen springen raus, legen sich flach auf die Straße oder suchen Schutz in der Umgebung, mit dem Blick gen Himmel, um zu sehen, von wo die Rakete kommt. Ein Mann legt sich schützend über sein Kind – an den Eurovision denkt hier derzeit niemand.

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