Politik

Sahra Wagenknecht: „Ich will politisch aktiv bleiben!“

0

Sahra Wagenknecht hat den Schuss gehört: K.o. durch „Stress und Überlastung“. Das droht auch vielen anderen, und nicht nur in der Politik. Anne Will fragt in ihrer ARD-Talkshow: „Zwischen Höchstleistung und Überlastung – wann macht Arbeit krank?“

Die Gäste

▶︎ Sahra Wagenknecht (49, Linke). Die Noch-Fraktionschefin ist als Betroffene geladen und darf deshalb auf schonende Behandlung rechnen.

▶︎ Thomas de Maizière (65, CDU). Der Bundesminister a.D. hatte 36 Jahre Politik auf dem Buckel, als er in Pension gegangen wurde.

▶︎ Katja Suding (43, FDP). Die Fraktionsvizechefin, seit elf Jahren dabei, baut Stress gern durch Kickboxen ab.

▶︎ Alexander Jorde (22). Der Pfleger-Azubi hat sich im Fernsehen mit der Kanzlerin angelegt und dient seither als Vorzeige-Talker seiner Branche.

▶︎ Klaus Lieb (53). Der Psychiater und Klinik-Chef untersucht, wie viel Belastung die Seele verträgt.

Drei Mal Politik, zwei Mal Praxis – kriegt heute auch das Zoff-O-Meter Stress?

  • Sie gibt den Linken-Fraktionsvorsitz auf

    Darum zieht sich Wagenknecht zurück

    Sahra Wagenknecht will ihren Posten als Fraktionschefin der Linken aufgeben. In BILD äußert sie sich zu den Gründen.

  • Auch Vize wirft hin

    Wagenknecht-Beben bei den Linken

    Nach dem angekündigten Rückzug von Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht will auch Stellvertreterin Dagdelen nicht mehr kandidieren.

Zum Start ein Bekenntnis

Wagenknecht sitzt im quittegelben Kostüm frisch wie der junge Morgen in der Runde, hat aber wenig Erfreuliches zu berichten: „Ich habe gemerkt, dass ich gesundheitlich einen bestimmten Dauerstress nicht mehr durchhalte“, erzählt sie.

„Aber: Das bedeutet nicht, das ich mich völlig aus der Politik zurückziehe!“ betont sie munter. „Das heißt auch nicht, dass ich meine Ziele nicht mehr für aktuell halte – im Gegenteil!“

Dann ein Appell

„Ich weiß, dass Millionen Menschen in diesem Land unter noch viel schwierigeren Bedingungen jeden Tag mit Stress, mit Überlastung, mit Überstunden zu tun haben“, erklärt Wagenknecht weiter. „Im Unterschied zu Politikern werden sie dafür auch noch sehr schlecht bezahlt, und sie können auch nicht einfach zurücktreten.“

„Ich will mich weiter dafür einsetzen, dass sich das ändert. Ich will politisch aktiv bleiben!“ kündigt die Politikerin an. Ihre Forderung: „Wir müssen menschlicher miteinander umgehen, auf allen Ebenen, und vor allem in der ganz normalen Arbeitswelt.“ Dafür gibt’s den ersten Beifall.

Klügstes Ausweichmanöver

Der Talkmasterin, bis in die Fingernägel violett durchgestylt, klingt das zu abgeklärt, sie will lieber Krawall und blendet ein Zitat ein: „Bernd Riexinger und Katja Kipping werden sich nicht die Mühe machen müssen, mich über Monate wegzumobben“, hatte Wagenknecht im Oktober 2017 gesagt.

Damals war sie über „permanente Grabenkämpfe“ mit den beiden Parteivorsitzenden verärgert. „Ach, wissen Sie, da kam viel zusammen“, sagt Wagenknecht jetzt diplomatisch, „und ich will da jetzt auch nicht nachtreten …“

Und weiter: „Wir hatten Konflikte, das ist auch öffentlich bekannt. Aber ich finde, das jetzt nur darauf zurückzuführen, das wäre auch nicht richtig.“ Die Frage sei auch, „wieviel man noch bewegt, „wenn man innerlich immer ausgebrannter wird“.

Schönstes Kompliment

„Das verdient Respekt!“ lobt de Maizière die Entscheidung der langjährigen politischen Gegnerin. „Das hilft auch anderen, die davon betroffen sind!“

Größte Grobheit

Alles so friedlich heute, deshalb wirft Will gleich noch eine Stinkbombe: „Sie sind herumgeschubst worden“, sagt sie zu dem Ex-Verteidigungs- und Ex-Innenminister. „Sie wurden abserviert!“

Doch de Maizière bleibt gelassen: „Es war schmerzhaft“, gibt er zu. „Aber mein Abschied war ehrenvoll. Deswegen sage ich im Nachhinein: Es war vielleicht ganz gut so.“

  • Bei „Anne Will“

    AfD-Storch beschimpft Macron als Verlierer

    Das Thema der Talkshow am Sonntagabend in der ARD: „Europa vor der Wahl – mehr EU oder mehr Nationalstaat?“

Witzigste Anekdote

Der Rückzug ins Privatleben brachte allerdings Probleme: „Am Flughafen wurde ich angehalten, weil ich meine Kosmetika nicht in durchsichtige Plastikbeutel verpackt hatte“, berichtete der Ex-Minister. „Obwohl ich die Regeln selber beschlossen hatte …“

Jüngstes Dementi

Vorzeige-Azubi Jorde ist inzwischen in die SPD eingetreten: „Ich will mich da inhaltlich einbringen“, sagt er jetzt dazu, „aber es ist nicht so, dass ich gesagt habe, ich strebe da jetzt eine Karriere an!“

Allerdings: „Wenn sich mal eine Chance ergibt, dass ich auch mitwirken kann, dann würde ich vielleicht auch Ja sagen“, gibt er zu. Vielleicht als Rookie bei Juso-Chef Kevin Kühnert?

Ärztliche Warnung

Psychiater Lieb kennt Polit-Stress aus eigenem Miterleben, denn er ist mit der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig verheiratet. „Was uns zuhause beschäftigt, ist die Frage: Wo finden wir Zeiten, in denen wir wieder runterfahren können?“ verrät er.

Denn, so der Experte: „Der Dauerzustand der vegetativen Übererregtheit kann zu psychischen Erkrankungen führen!“ Doch, immerhin: „Psychische Erkrankungen haben eine bessere Akzeptanz als früher.“ Schöner Trost …

Härtester Vorwurf

Jorde tut, wozu er eingeladen ist, und schildert katastrophale Zustände: „Enorme Arbeitsbelastung“, zählt er auf. „Verantwortung für Menschenleben. Enormer Zeitdruck. Viel zu viele Patienten.“

Dann nimmt der Azubi den Minister auf die Hörner: „Sie sagen, wir haben Regulierungen. Aber in der Pflege ist es möglich, zwölf Tage im Stück zu arbeiten, zwischen allen drei Schichttypen hin- und herzuwechseln!“

Schlimme Zustände

„Bei mir ist es so, im Tarifvertrag, dass man bis 21 Uhr abends arbeiten kann und am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder auf der Matte stehen muss“, sagt Jorde. „Man muss sich dann noch umziehen, nach Hause fahren, viele Kollegen haben Kinder …“

Und, so der junge Pfleger: „Viele laufen in der Schicht zehn Kilometer. Gleichzeitig hat man noch den psychischen Stress, weil man die Verantwortung für Menschenleben trägt. Und dann hat man nicht mal neun Stunden zur Erholung!“

Jetzt geht das Zoff-O-Meter los

„Wir brauchen mehr Personal in der Pflege“, gibt de Maizière zu. „Aber nach der europäischen Arbeitszeitrichtlinie müssten es elf Stunden sein.“

„Der ist für bestimmte Branchen aufgehoben!“ kontert der Azubi.

Der Minister gibt sich nicht geschlagen: „Wir haben ein solches Maß an Schutzgesetzen, dass manche in der Wirtschaft sagen, das ist schon fast zu viel“, behauptet er. „Es gibt Menschen, die sind überlastet. Aber manche brennen leer, weil sie nie gebrannt haben.“

„Unsere Arbeitsbelastung ist durch die Privatisierung gestiegen!“ klagt Jorde, schimpft ausgiebig auf renditesüchtige Investoren und hat dabei die volle Unterstützung des Publikums.

Zitat des Abends

„Wer ein führendes Amt hat, kann nicht mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit rechnen.“ (de Maizière)

Fazit

Wenig Parteigeist, auch kaum Phrasen, stattdessen erfrischende Ehrlichkeit, viel Empathie, und Politiker auch mal selbstkritisch: Das war ein Talk der Kategorie „Wundspray“.

Rufe nach mehr Investitionen gegen Armut

Previous article

Muss ich für die Mega-Fusion zahlen?

Next article

You may also like

Comments

Leave a reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

More in Politik