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Ist es respektlos, Menschen nach ihrer Herkunft zu fragen?

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Ein Pro und Contra aus dem neuen Politik-Magazin BILD POLITIK

Dieter Bohlen hat in seiner Solo-Karriere mehr als 9,1 Millionen Tonträger verkauft. Jetzt kann er sogar von sich behaupten, eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst zu haben – wenn auch ungewollt.

Um die zu verstehen, muss man folgenden Dialog kennen, den Bohlen mit der fünfjährigen Kandidatin Melissa aus Herne in der Show „Das Supertalent“ geführt hat.

Dieter Bohlen: „Du siehst aber hübsch aus.“
Melissa: „Danke schön.“
Bohlen: „Woher kommt die Melissa?“
Melissa: „In den Herne.“
Bohlen: „Und Mama und Papa, wo kommt ihr her? Philippinen?“
Melissa: „Nein, die kommt … die ist auch eine Herne.“ (Das Publikum lacht und applaudiert.)
Bohlen: „Wo kommt ihr her, aus welchem Land, gebürtig?“
Melissa: „Ich weiß es nicht.“ (Das Kind lacht.)

Dann fragt Bohlen die neben der Bühne stehende Mutter. Die Frau erzählt, dass die Familie ursprünglich aus Thailand komme. Wie ihre Tochter trägt sie ein traditionelles thailändisches Kostüm.

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Wenige Stunden später erheben Nutzer in den sozialen Netzwerken einen schweren Vorwurf gegen Bohlen: Er wolle dem Mädchen einreden, dass es eigentlich keine Deutsche sei.

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli teilt einen Clip der Szene bei Twitter und schreibt: „Bohlen mag es gut gemeint haben. Es ist aber ein riesiges Problem. Wie soll eine deutsche Identität entstehen, wenn einem das Deutschsein abgesprochen wird, weil man anders aussieht? Es ist nicht lustig. Es ist traurig und es hat fatale Auswirkungen.“

Der Tweet wird tausendfach verbreitet, erhält Zustimmung und Widerspruch.

#Bohlen mag es gut gemeint haben. Es ist aber ein riesiges Problem. Wie soll eine deutsche Identität entstehen, wenn einem das Deutschsein abgesprochen wird, weil man anders aussieht? Es ist nicht lustig. Es ist traurig und es hat fatale Auswirkungen. https://t.co/9kSSEB6x8K

— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) February 18, 2019

Inzwischen hat sich die Debatte vom Auslöser Bohlen gelöst, ist breiter geworden – aber nicht weniger emotional. Unter dem Hashtag #vonhier melden sich Menschen mit Migrationshintergrund zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby, der im Senegal geboren ist, schreibt zum Beispiel: „Wo ich herkomme? Denk bitte für eine Sekunde nicht an meine Hautfarbe, nicht an meinen Namen. Dann wirst Du erkennen, dass ich genauso #vonhier bin wie Du.“

Der türkischstämmige WDR-Journalist Tuncay Özdamar hält dagegen: „Wir Menschen mit Migrationshintergrund sollten damit aufhören, hinter jeder Geschichte einen ,Rassismus‘ zu suchen. Das ist Verharmlosung des Begriffs. Mich stört es nicht, wenn jemand nach meiner Herkunft fragt. So kommen wir ins Gespräch.“

Ist es ein Problem, jemanden nach seiner Herkunft zu fragen? Gar rassistisch? Auch in der Redaktion von BILD POLITIK gehen die Meinungen auseinander. Lesen Sie hier ein Pro und Contra!

Ja, es geht um Taktgefühl! Von Selma Stern

Man darf alles fragen. Aber man muss die Konsequenzen aushalten. Die Herkunftsfragerei tut vielen weh und macht Menschen die Integration, das Deutschwerden, unnötig schwer.

Dieter Bohlen als Rassisten zu bezeichnen, ist infam. Aber er hat eine uralte, ureuropäische kulturelle Prägung gezeigt: Die Annahme, dass es ein „typisch deutsches“ Aussehen gibt, was „nicht deutsch aussehende“ Menschen wiederum qua Abstammung „interessant“ macht.

Ein „asiatisch aussehendes“ Kind aus Herne? Irgendwie überrascht das Herrn Bohlen. Ist er deshalb böse? Ganz klar: Nein! Ist das trotzdem problematisch? Ja! Die Erklärung, ganz ohne Schnappatmung:

Da steht ein kleines Kind in einer sehr emotionalen Situation. Bohlen erklärt seine asiatische Herkunft in diesem TV-Moment für überragend wichtig. Für Bohlen war das „interessant“. Für das Kind hingegen war es prägend. Das Mädchen sieht sich noch klar als Hernerin. Zweifel an seiner deutschen Identität werden in ihm erst die vielen Herkunfts-Frager säen. Bohlen wird nur einer von vielen sein.

Wer unbedingt leugnen will, dass das problematisch ist, könnte ganz selbstbewusst-nichtrassistisch einmal nachvollziehen: Wer ständig mit der Annahme konfrontiert wird, er sei nicht „ganz Deutsch“, denkt irgendwann selbst: „Gut, dann bin ich das halt nicht.“ Die Herkunftsfrage ist selten „böse gemeint“, aber darum geht es nicht.

Das Problem ist, dass sie Deutsche (!) ihre deutsche Identität hinterfragen lässt. Wozu?

Die Fragerei kann auch schlicht unhöflich sein. Es ist unangenehm, von jemandem gelöchert zu werden, der weder an Körpersprache noch an Antworten Grenzen erkennt. Beim Fragen geht es auch um Respekt. Nicht nur um Interesse.

Und: Erdogan gewinnt Wahlen mit den zwei Seelen türkischstämmiger Deutscher. Wollen wir das wirklich fördern, nur weil ihre Herkunft so „interessant“ ist?

Nein, es ist eine ganz normale Frage! Von Timo Lokoschat

Lokoschat – das klingt nicht gerade deutsch. Ist es auch nicht. Mehrmals die Woche werde ich auf meinen Nachnamen angesprochen. Ich erzähle dann, dass der Name aus dem Baltikum stammt – wie meine Familie väterlicherseits. Obwohl wir seit mehreren Generationen hier leben, bleibt der Name und damit auch die Herkunft.

Ich finde das schön. Und es ist ein netter Gesprächsaufhänger. Niemals käme ich auf die Idee, dass mir jemand damit die Zugehörigkeit zu Deutschland absprechen will.

Die Frage nach der Herkunft eines Menschen ist die normalste Frage der Welt! Sie signalisiert Neugier und Interesse am Gegenüber. Grotesk, Dieter Bohlen vorzuwerfen, er habe das Kind „bloßgestellt“. Das Mädchen führte im thailändischen Kostüm einen thailändischen Tanz auf – sich nach der Herkunft zu erkundigen, ist da sogar besonders naheliegend.

Das Widersinnige an der Debatte: Die gleichen Leute, die sonst immer betonen, dass Deutschland „bunt“ sei, wollen die Herkunft zum Tabuthema erklären. Wir sind ja alle Deutsche und sonst nix. Jetzt auf einmal … Die, die sonst in den sozialen Netzwerken über „deutsche Kartoffeln“ lästern, wollen plötzlich eine sein. Ja was denn nun?

Die Empörungs-Profis würden am liebsten sogar bestimmen, wer was fragen darf: Erkundigen sich Menschen MIT Migrationshintergrund nach der Herkunft des Anderen, gilt das als gut und cool. Wenn Deutsche OHNE Migrationshintergrund fragen, soll das böse und unhöflich sein.

Die meisten Deutschen mit ausländischen Wurzeln sehen das zum Glück entspannter, blasen keine Alltags-Dialoge zum Rassismus-Problem auf. Sie kennen den tatsächlichen Rassismus, der so verharmlost wird.

Natürlich spielen bei der Frage nach der Herkunft die Umstände und der Ton eine Rolle. Wird herablassend oder penetrant gefragt, ist das ein Problem. Das gilt aber für jede Frage – auch die nach der Uhrzeit.

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