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EU-Parlament will gegen „faulen Kompromiss“ kämpfen

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Quelle: BILD / Reuters, Next Animation
1:17 Min.

Im Streit über den Bau der russisch-deutschen Erdgaspipeline „Nord Stream 2“ haben sich die EU-Staaten am Freitag auf einen Kompromiss verständigt. Doch jetzt kommt Gegenwind aus dem Europaparlament.

Hintergrund: Die am Freitag in Brüssel ausgehandelte Einigung sieht vor, über Änderungen an der EU-Gasrichtlinie strengere Auflagen für das Projekt zu erlassen, wie Diplomaten mitteilten. Zugleich soll aber sichergestellt werden, dass das Milliarden-Projekt dadurch nicht bedroht wird.

Auf den letzten Punkt hatte vor allem die Bundesregierung gedrungen. Sie wollte eine weitreichende Überarbeitung der Richtlinie eigentlich ganz verhindern, musste sich aber nach einem politischen Kurswechsel Frankreichs auf Verhandlungen einlassen.

Der wichtigste EU-Partner Deutschlands war überraschend aus dem Lager der Gegner der Richtlinienänderung in das der Befürworter gewechselt. Frankreich pochte allerdings am Freitag darauf, dass es schon immer Bedenken zu „Nord Stream 2“ gehabt und diese auch gegenüber Deutschland geäußert habe. Berlin und Paris legten schließlich einen gemeinsamen Kompromissvorschlag vor.

▶︎ Bevor die geplanten Änderungen an der EU-Richtlinie umgesetzt werden, muss nun aber noch das EU-Parlament zustimmen. Ob es dort eine Mehrheit für das Projekt geben wird, ist unklar, da viele Abgeordnete die Pipeline sehr kritisch sehen.

So wie Rebecca Harms, Mitglied der Grünen/EFA-Fraktion im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Sie hält die Einigung für einen „faulen Kompromiss“. Die Bundesregierung wolle offenbar ihren energiepolitischen Alleingang weiter durchziehen:

„Es scheint als könne sie mit dem Segen aus Paris auf die Sorgen der mittel- und osteuropäischen Staaten pfeifen, US-Sanktionen riskieren und die gemeinsamen EU-Sicherheitsinteressen hinten anstellen. Das wäre eine erschreckende Demonstration des spaltenden Einflusses von Wladimir Putin auf europäische Politik und der Ignoranz Angela Merkels aber auch Emmanuel Macrons in Sachen Multilateralismus.“

Das Europäische Parlament müsse nun in den anstehenden Verhandlungen diesen Alleingang verhindern, kündigte Harms weiter an.

„Das Parlament wird für gemeinsame europäische Energiepolitik und europäische Regeln auch für Drittländer eintreten und kann dies auch noch durchsetzen.“

  • Kommentar

    Der deutsche Weg

    Deutschland steht im Streit um die russische Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“ so isoliert da wie selten zuvor.

Auch CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok nannte den Durchbruch am Freitag einen faulen Kompromiss. „Wir müssen doch sehen, dass wir künftig zu 50 Prozent von russischem Gas abhängig sind“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.

Wenn Deutschland dann noch aus der Braunkohle aussteige, werde diese Abhängigkeit eher noch größer als kleiner. „Und dabei rede ich noch nicht davon, dass wir ja auch beim Öl von Russland abhängig sind“, mahnte der EVP-Politiker.

Der Kampf gegen „Nord Stream 2“ könne noch gewonnen werden, schrieb Reinhard Bütikofer, industriepolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament und Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei (EGP), nach der Einigung. Jetzt käme es auf das Europaparlament an:

„Die Verhandlungen, auf die das Parlament gut vorbereitet ist, werden bereits Anfang nächster Woche beginnen. Sie werden sicher nicht einfach, aber die Schnecke Fortschritt hat sich wieder einmal ein bisschen bewegt“, resümierte Bütikofer. „Für Berlin bleibt es bedenklich, dass solcher Fortschritt in Europa gegen deutschen Widerstand erkämpft werden muss.“

Für Russland macht „Nord Stream 2“ politisch vieles einfacher: „Russland könnte die Ukraine massiv unter Druck setzen, ohne dass der Westen dadurch direkt in Mitleidenschaft gezogen würde“, warnte der grüne EU-Politiker Reinhard Bütikofer deshalb schon unlängst im Europaparlament und kündigte an: „Nein, da machen wir nicht mit.“

Über 60 Abgeordnete aus fünf Fraktionen hatten schon im November einen Brief an Angela Merkel formuliert, in dem sie den deutschen Alleingang gegen europäische Interessen kritisierten. Deutschland würde mit dieser Politik die Europäische Union spalten und in Abhängigkeit zu Russland geraten. „Wählen Sie den europäischen Weg, Frau Bundeskanzlerin, nicht den Weg des ‚Germany first‘“, appellierten die Abgeordneten damals.

Was hat Deutschland dafür zugesagt?

Trotz aller Kritik im Vorfeld dann am Freitag die Einigung. Was Deutschland als Gegenleistung für den „Nord Stream 2“-Kompromiss versprach, bleibt weiter unklar.

Insider vermuten jedoch, dass Merkel verbindliche Gas-Transits durch die Ukraine zugesagt haben könnte – trotz „Nord Stream 2“. Diese müsste sie nun Wladimir Putin abringen. Bislang weigerte sich Russlands Präsident, diesbezüglich schriftliche Zusagen zu geben.

Aus französischen Regierungskreisen erfuhr BILD, dass man die Kommunikationsstrategie des eigenen Außenministeriums als „katastrophal“ ansehe. Sich am Vortag klar gegen Deutschland zu positionieren und heute nun mit Deutschland den Rest der EU zu einem Kompromiss zugunsten „Nord Stream 2“ zu überreden, würde die östlichen Partner „wahrscheinlich verschrecken“.

Grünen Außenpolitiker Cem Özdemir nahm die Einigung von Brüssel mit Galgenhumor. Zu BILD sagte er:

„Der Kompromiss hinterlässt einen mehr als bitteren Beigeschmack. Mit ihrem Multilateralismus à la carte bekommt die Bundesregierung nun zwar ihre Wunschpipeline und hat auch die Wogen mit Paris fürs erste geglättet. Buchstäblich in die Röhre aber gucken unsere ukrainischen Nachbarn, während im Kreml die Krimsektkorken knallen. Mit einer menschenrechtsgeleiteten Außenpolitik hat ‚Nord Stream 2‘ herzlich wenig zu tun.“

Russland warnt: »Hindernisse bringen nichts

Der russische Vizeaußenminister Alexander Pankin warnte in einer Erklärung am Samstag die Pipeline-Gegner: „Wenn dem Projekt Hindernisse bereitet werden, um Russland zu zwingen, Gas durch die Ukraine zu ihren Bedingungen, zu ihren Tarifen und mit Ungewissheiten in juristischen Dingen zu pumpen, dann wird diese Nummer wahrscheinlich nicht klappen“, sagte Pankin der Nachrichtenagentur Ria Nowosti zufolge, ohne ein konkretes Land zu nennen.

Zugleich sicherte er zu, dass Russland auch weiter Gas durch die Ukraine liefern werde. „Ja, wir sind bereit, den ukrainischen Transit fortzusetzen, aber unter den Bedingungen, die wir brauchen.“

Mit Nord Stream 2 sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland an Drittstaaten wie der Ukraine oder Polen vorbei durch die Ostsee nach Deutschland transportiert werden können. Nord Stream 2 wird vom russischen Staatsmonopolisten Gazprom gesteuert.

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