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Magda Kunkel (76) fragt:„Ist das der Dank?“

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Quelle: Frederick von Erichsen/BILD
2:51 Min.

Magda Kunkel hat 48 Jahre gearbeitet und am Ende doch nichts übrig.

Seit Jahren schon sind die Sofakissen zerschlissen, und eine neue Matratze bräuchte sie auch. Ganz zu schweigen von den Schuhen. Magda Kunkel (76) hat ihr Leben lang Verzicht geübt. Es war eine gute Übung fürs Alter.

Sie lebt von 660 Euro Rente, bekommt 290 Euro vom Amt dazu. Insgesamt 950 Euro, 84 Euro Zuschlag für besondere Ernährung, Frau Kunkel leidet an Zöliakie, sind da schon eingerechnet. Aber kein Geld für die Schmerzmittel gegen die Arthose. Mit ihrer kleinen Rente lebt sie auf 45 Quadratmetern in einer Sozialwohnung in Gießen. „Meine Generation von Frauen hat dieses Land aufgebaut. Jetzt sind viele arm, wie ich. Ist das der Dank?“ 

Mit 15 begann sie eine Lehre als Verkäuferin. „Wir hatten eine 52-Stunden-Woche, arbeiteten natürlich auch samstags. Viele können sich das heute gar nicht mehr vorstellen.“ Damals verdiente eine Verkäuferin 320 Mark. „Das reichte auch früher schon für ein Leben, Frauen waren immer nur Dazu-Verdiener“, erzählt Kunkel aus der Zeit des Wirtschaftswunders. „Es heißt immer, der Herr Aldi hätte den Wohlstand in diesem Land aufgebaut. Nein, der hätte einen Scheiß machen können, wenn er nicht das Personal gehabt hätte.“  

Die junge Magda heiratete mit 21, mit 30 wurde die Ehe wieder geschieden. Drei Kinder, der Mann verschwand – nicht ohne Frau Magda Kunkel noch einmal zu vergewaltigen. Für das Haus hinterließ er 41 000 Mark Schulden, aber seine Rentenansprüche aus den Ehejahren nahm er mit, das Rentensplitting wurde erst 1977 ins Gesetz geschrieben.

Kunkel arbeitete als Buchhalterin, nahm eine Stelle als Fleischfachverkäuferin an. Nachts fuhr sie Taxi, machte sich irgendwann mit einem Fuhrbetrieb selbstständig. Noch heute kennt sie die Zahlen, die sie damals um den Schlaf brachten. 691 Mark Krankenversicherung, 400 Mark Funkgebühr. 3000 Mark an Kosten musste sie jeden Monat decken. „Und dann noch in die Rentenkasse einzahlen? Es ging einfach nicht.“ So entstand eine Lücke von sechs Jahren bei den Beiträgen.

Unfälle, schwere Verletzungen, Überfälle, Angriffe: Magda Kunkel erzählt, wie das Schicksal in ihrem Leben immer wieder dazwischenschlug. Am Ende bleibt ein wenig Geld zum Leben, aber nicht genug für viel Freude daran. „Ich habe im Leben wohl immer wieder die Verlierer-Karte gezogen.“

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Der Durchschnitt der Regel-Altersrente für Frauen im Westen liegt bei 433 Euro im Monat (2017). Für langjährig Versicherte wie Frau Kunkel liegt er bei 718 Euro. Davon Miete, Essen und Medikamente bezahlen, vielleicht mal Kino oder Geschenke für die Enkel?

Wahr ist: Die Hälfte der Rentner lebt verheiratet, im Schnitt kommt die Rentnerehefrau im Alter auf 751 Euro, ihr Ehemann aber auf 1796 Euro Einkommen insgesamt. Mehr als die Hälfte aller Rentnerehepaare haben neben der gesetzlichen Rente zusätzliche Einkünfte – im Schnitt 1175 Euro! Jedes dritte Rentnerpaar und jeder vierte Alleinstehende kassiert Zinsen aufs Ersparte, Alleinstehende im Westen wie Frau Kunkel im Schnitt 178 Euro. Dazu kommen häufig Mieteinnahmen oder Einnahmen aus einer Privatrente.

Sozialleistungen bis an ihr Lebensende

Doch Magda Kunkels Wahrheit ist eine andere: Sie hat sich all das nie aufbauen können. Und aus eigener Kraft kann sie ihr Einkommen heute nicht mehr aufbessern. Bis an ihr Lebensende bleibt sie auf Sozialleistungen, in ihrem Fall Grundsicherung im Alter nach dem 12. Sozialgesetzbuch, angewiesen. Ist das gerecht? Tut der Staat genug für die Frau Kunkels unserer Gesellschaft?

Magda Kunkel hat da klare Vorstellungen. Sie kann genau sagen, was passieren müsste, damit es Frauen wie sie leichter hätten. „Wenn man uns endlich nicht mehr wie Sozialhilfeempfänger behandelt, sondern als normale Rentner anerkennt, könnte ich mir bei uns im Nachtcafé etwas dazuverdienen“, erklärt sie. Natürlich dürfte sie dort auch als Bezieherin von Grundrente Teller spülen. Aber der Lohn würde bei der Sozialhilfe abgezogen. So wie sie es von der Mütterrente kennt. „Die lässt man uns auch nicht, die wird uns abgezogen.“ Aber einmal im Jahr muss sie beim Amt das bisschen, was sie hat, offenlegen. „Jedes Mal sagen sie mir, ich hätte doch was in die Rentenkasse einzahlen sollen.“ Aber wie denn bitte?

Frauen wie Magda Kunkel sollen jetzt in den Genuss der Grundrente kommen. Sozialminister Hubertus Heil (47) will allen, die mehr als 35 Jahren in die Rentenkasse eingezahlt haben, die Altersbezüge auf rund 960 Euro aufstocken, bei längerer Lebensarbeitszeit auch mehr. Ohne Antrag, ohne Prüfung der Bedürftigkeit.

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Mehr Geld, natürlich, darüber würde sie sich freuen. „Ich habe es mir doch erarbeitet“, sagt Magda Kunkel. „Aber wenn zwei ohnehin genug Geld haben, dann brauchen sie die Grundrente doch nicht auch noch. Das kann doch von den Kosten nicht funktionieren, das ist realitätsfern.“ Deshalb ist sie für eine Bedürftigkeitsprüfung. „Einmalig, am Anfang der Rente. Das reicht doch. Wo sollen wir Alten denn danach noch neue Einnahmen herbekommen?“

Bei Frau Kunkel geht es ohnehin nur noch um die Ausgaben. „Mein Kühlschrank ist 27 Jahre alt und frisst viel zu viel Strom, aber ich kann mir keinen neuen leisten“, erzählt sie BILD. Die Isoliergummis an der Tür sind kaputt. „Ich wollte neue bestellen, aber Quelle wollte gleich einen Techniker mitschicken. Den konnte ich natürlich nicht bezahlen. Aber ohne Techniker, kein Ersatzteil“, berichtet Kunkel. Inzwischen ist Quelle pleite und der Kühlschrank bleibt kaputt.

„Diesen Monat habe ich schon wieder eine Telefonrechnung von 48 Euro“, bei Ferngesprächen lässt sie sich zurückrufen. Dabei gibt es doch günstige Flatrate-Tarife, die die Hälfte kosten. „Weil ich meine Telekom-Rechnung nicht immer ganz pünktlich überweisen kann, geht das bei mir nicht, hat der Mann im Telekom-Geschäft gesagt.“ Wenn Du einmal unten drin hängst …

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