Politik

Theresa May droht der Brexit-„Todesstoß“

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May will Abkommen mit der EU wieder aufschnüren + Rebellen-Antrag sieht Verschiebung des Brexit-Termins vor

Wieder so ein Schicksalstag im endlosen Ringen um den Brexit: Nach dem klaren Nein des britischen Unterhauses zum EU-Austrittsabkommen vor knapp zwei Wochen suchen die Abgeordneten an diesem Dienstag einen möglichen Ausweg aus dem Schlamassel.

Für Theresa May könnte es heute eng werden: Erstmals hat eine fraktionsübergreifende Initiative eine Chance, die Brexit-Weichen neu zu stellen. Und zwar in Bezug auf den Austrittstermin (29. März), der gegen Mays Willen um drei Monate oder sogar gleich bis Ende 2019 verschoben werden könnte.

Allerdings hat May auch eine Chance, ein neues Verhandlungsmandat mit Brüssel zu ergattern. Dabei geht es um Änderungen am so genannten „Backstop“, der Notfallklausel zur Vermeidung einer neuen Grenze in Irland, der Großbritannien aus Kritikersicht dauerhaft an die Zollunion ketten könnte.

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„Müssen sagen, was wir wollen“

„Die Welt weiß, was dieses Haus nicht will. Heute müssen wir eine nachdrückliche Botschaft dazu senden, was wir wollen“, sagte Theresa May – und griff damit die zunehmend verzweifelten Forderungen der EU-Seite auf.

Die Entscheidung gilt als wichtigste der britischen Nachkriegsgeschichte, insofern zehrt das Patt im Parlament zunehmend an den Nerven.

Die maximal acht Abstimmungen über den May-Plan und die verschiednen Änderungsanträge (alle relevanten wurden von Parlamentspräsident John Bercow diesmal zugelassen) sollen gegen 20 Uhr beginnen und könnten bis zu zwei Stunden dauern.

Abgestimmt wird auch über den Grundsatz-Antrag der Opposition, Möglichkeiten zur Vermeidung eines harten Brexit im Parlament zu beraten. Dazu gehört der Verbleib in der Zollunion und die Möglichkeit eines zweiten Referendums über den Verbleib Großbritanniens in der EU.

Corbyn sagte, es bestehe „keine Chance“ mehr, dass die Regierung bis zu dem 29. März sämtliche notwendigen Gesetze verabschiede, deshalb sei eine Verschiebung des Brexits unausweichlich.

May will neu verhandeln, die EU nicht

Theresa May kritisierte Labour-Chef Jeremy Corbyn (69) im Verlauf der Debatte ungewöhnlich hart wegen dessen Weigerung, mit ihr Brexit-Plan B zu verhandeln – zumindest solange, bis ein Chaos-Brexit als Option vom Tisch ist. Corbyn spreche „mit der Hamas, der Hisbollah und der IRA ohne Vorbedingungen, nur nicht mit ihr“, kritisierte May.

Ihr neues Ziel ist, das Brexit-Abkommen mit EU wieder aufzuschnüren, wie sie vorab in einer Kabinettssitzung erklärt hatte. Es sei im Interesse aller, für den sogenannten Brady-Antrag zu stimmen, sagte May. In diesem Zusatz zum bereits ausgehandelten Brexit-Vertag wird eine Änderung des Backstops verlangt.

Aus ihrem Plan B (unterschied sich kaum vom abgeschmetterten Plan A) wird also, wenn Brüssel mitmacht, Plan C. Gerüchten zufolge könnte May bereits am Mittwoch wieder bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anklopfen. Spätestens am 13. Februar will sie sich zum Stand der Dinge äußern, für den 14. Februar stellte May den Abgeordneten eine neue Abstimmung in Aussicht („meaningful vote“).

Hintergrund: Die britische Seite hatte vor Abschluss des Abkommens schon mehrmals Korrekturwünsche durchgeboxt. Der Backstop trägt also eigentlich schon Mays Handschrift. Angesprochen auf diesen Widerspruch sagte May im Parlament, dies zeige, dass sie den Abgeodneten eben „zugehört“ habe. Die Opposition entgegnete, sie steuere mit aussichtslosen Verhandlungen weiter auf den Chaos-Brexit zu.

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EU-Seite warnt Briten: Keine Änderungen mehr!

Ein EU-Diplomat nennt neue Last-Minute-Korrekturen, besonders die geforderte zeitliche Begrenzung beim Backstop, gegenüber BILD „nicht vorstellbar“.

„An diesem Punkt wäre ein wenig Realismus vonnöten“, stichelte auch Irlands Europa-Ministerin Helen McEntee Richtung London. „Der Backstop wurde über 18 Monate verhandelt, da kann es keine Änderungen mehr geben.“

Der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen bei der Europawahl, Manfred Weber (CSU), wunderte sich ebenfalls über Mays neuerlichen Sinneswandel, sagte: „Der Vertrag liegt auf dem Tisch, der ist zu akzeptieren“

Diesen Tory-Plan muss May fürchten

Der Plan der Rebellen zur Vermeidung schwerer Wirtschaftsschäden sieht vor, dass die Regierung den EU-Austritt aufschieben MUSS, sollte sich bis zum 26. Februar keine Mehrheit für ein Austrittsabkommen finden. Damit wäre Theresa May dann noch weiter von ihrem Ziel entfernt, den Brexit auf Basis des mit Brüssel verhandelten Abkommens am 29. März durchzupeitschen. Prompt warnte sie sinngemäß, damit könne der Brexit auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden. Was wiederum nicht wenige Pro-Europäer und Verfechter eines zweiten Referendums hoffen lässt.

Ausgegangen ist die Initiative zum Ausschluss eines Chaos-Brexits von Oppositionspolitikerin Yvette Cooper (Labour), doch mehrere Torys (Konservative) stimmten ihr zu.

Die EU-kritische Zeitung „Sun“ wittert bereits den „Todesstoß“ für den EU-Austritt als Ganzes. Am Dienstag titelte sie mit einem Appell an alle Unterhaus-Abgeordneten: „Don’t let Labour kill Brexit“ („Lasst Labour nicht den Brexit töten“).

Ist es denkbar, dass Brüssel doch einknickt?

Alle EU-Institutionen betonen unisono, dass das Austrittsabkommen nicht nachverhandelt werden kann, insbesondere nicht der Backstop.

Doch stünde die EU-Seite unter Druck, falls May tatsächlich bei Änderung des Vertrags die Ratifizierung garantieren könnte. Denn die Alternative „No Deal“ brächte das EU-Mitglied Irland in eine extrem schwierige Lage.

Klar ist: Die EU will ihren Binnenmarkt vor einem unkontrollierten Strom billiger, unverzollter Waren schützen, die durch eine offene Hintertür in Irland kommen könnten. EU-Unterhändler Michel Barnier sagte zuletzt, Kontrollen seien nötig. Er legte gleichzeitig nahe, dass dies nicht unbedingt an der Grenzlinie passieren müsse. Brexiteers in London rieben sich sofort die Hände: Siehst du, eine feste Grenze lässt sich auch ohne Backstop umgehen.

Wie das praktisch funktionieren soll, ist jedoch unklar. Die EU könnte am Ende vor der Wahl zwischen Pest und Cholera stehen und in der Befristung des Backstops doch das kleinere Übel sehen.

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    Brexit-Briten spucken Gift und Galle

    Die gehässigen Reaktionen lassen ahnen, wie der nahende Brexit an den Nerven zehrt. Aber auch: Wie verhärtet die Fronten sind.

Experte: Lange Brexit-Verschiebung könnte EU spalten

Eine Verlängerung der Austrittsfrist müssten ALLE übrigen 27 EU-Länder billigen. Diplomaten in Brüssel sind sich aber sicher, dass eine Verschiebung des Brexits bis Ende Juni kein Problem wäre. Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sagt: „Ich habe noch keinen Mitgliedsstaat mit bösem Willen gegenüber Großbritannien gesehen, ganz im Gegenteil.“

Ginge es jedoch um eine Frist bis Jahresende, würde es weit schwieriger. Vom 23. bis 26. Mai wird ein neues Europaparlament gewählt, das sich Anfang Juli konstituiert. Käme der Brexit später, müsste Großbritannien noch einmal Abgeordnete bestimmen.

Das Meinungsbild bei EU-Politikern geht von „unmöglich“ bis „das kriegt man auch irgendwie hin“. Sollte London einen solchen Antrag stellen, werde allerdings „die Einheit der EU erstmals auf eine harte Probe gestellt“, sagte Brexit-Experte Iain Begg (65) von der London School of Economics zu BILD. EU-Diplomaten halten es für denkbar, dass vor allem Frankreich Bedingungen für eine längere Verschiebung des Austritts stellen könnte.

Außerdem gibt es Befürchtungen von Verfassungsexperten, die Europawahl könnte angefochten werden, indem die Briten als Noch-Mitglieder auf ihr verbrieftes Wahlrecht pochen.

Bleibt als weitere Option noch immer: Den Brexit wieder abzublasen, etwa mit einem zweiten Referendum. Der Chef der irischen Billigfluglinie Ryanair, Michael O’Leary, sagte am Dienstag, er halte den Brexit für die „dümmste Idee seit 100 Jahren“.

In einem ungewöhnliche Statement warnte der Direktor der nationalen Nachrichtendienste der USA, Daniel Coats, ein ungeregelter Brexit könne Großbritannien und Europa „substanziell schwächen“.

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