Politik

„Manche fühlen sich wie Flüchtlinge im eigenen Land“

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„Wie tickt Deutschland?“, fragt der Psychologe und Buchautor* Stephan Grünewald (58) in seinem Buch über die „Psychologie einer aufgewühlten Gesellschaft“.

In Dutzenden Interviews und Tiefenanalysen hat er die Seelenlage der Deutschen vor und nach der Flüchtlingskrise untersucht. Für BILD fasst er seine wichtigsten Ergebnisse zusammen.

★★★

► Deutschland verfällt zunehmend in einen Zustand der Gereiztheit, der Ungeduld, der Aufwühlung. Jeder spürt das bei Twitter oder Facebook, in Talkshows oder im Straßenverkehr zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Die Republik scheint am Limit.

► Während der deutschen Teilung definierten sich DDR und Bundesrepublik zu großen Teilen als Gegenentwurf zu „denen da drüben“. Heute suchen die Menschen dieses Selbstverständnis stärker über Abgrenzungen innerhalb der Gesellschaft.

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Gerade weil es uns Deutschen gut geht wie selten zuvor – wenige Arbeitslose, brummende Wirtschaft, gute Sozial- und Medizinversorgung – erscheint den Deutschen die Zukunft als Drohkulisse: Flüchtlingskrise, Terror, Islamismus, Globalisierung, Digitalisierung.

► Viele wünschen sich eine Art permanenter Gegenwart. Angela Merkels Raute ist dafür das Sinnbild. Die Politik soll einerseits Konstanz und Sicherheit vermitteln, aber auch eine Zukunftsvision erarbeiten, die Menschen begeistert.

► Aber exekutiert Politik – angeblich alternativlos und ohne öffentliche Debatte – ihre Agenda (Flüchtlingskrise, Atomausstieg, Homo-Ehe, Ende des Wehrdienstes), dann hinterlässt sie Narben und Kränkungen. Menschen ziehen sich zurück oder agitieren teils aggressiv.

Verstärkend wirkt dabei ein Wertschätzungsdefizit, das Menschen schon nach dem Bildungsgrad in „rückschrittlich“ und „fortschrittlich“ einteilt. Bodenständig Lebende mit Hauptschulabschluss werfen weiter ihr Steak auf den Grill, fahren Diesel, trinken Alkohol, rauchen, fliegen gern nach Mallorca – und werden dafür von einer „Elite“ als rückständig gebrandmarkt.

Steigen dann noch die Mieten in den Großstädten, oder der Negativzins macht das hart erarbeitete Geld auf dem Bankkonto zunehmend wertlos – dann kommt die Frage: Bin ich hier noch willkommen? Was ist meine Leistung noch wert? Manche fühlen sich wie Flüchtlinge im eigenen Land.

Eine solche Zwei-Klassen-Gesellschaft spiegelt sich längst in den Echoräumen des Internets, wo Gleichgesinnte unter sich bleiben, ihre eigene Weltsicht bestätigen und Feindbilder pflegen.

► Kern der Wahrnehmung im Internet sind der Islamismus und ein neu aufkommender Nationalsozialismus. Viele besorgte Menschen aus dem bürgerlichen Lager fühlen sich vom Islamismus bedroht, fürchten, nicht mehr Herr im deutschen Haus zu sein. Sie projizieren alles Schlechte auf Fremde, Zuwanderer, den Islam.

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Verfechter einer liberalen, durchlässigen Gesellschaft sehen dagegen „die Neonazis“ als zentrale Bedrohung aller Freiheit. Bei aller gebotenen Wachsamkeit versagt diese Sichtweise aber häufig, wenn es darum geht, verängstigte Bürger von Rechtsradikalen zu unterscheiden, Gartenzwerge von Giftzwergen …

► Deutschland ist ein friedliches und ein schöpferisches Land. Die Rhythmik von Innehalten und Betriebsamkeit, von Tag und Traum, begründet unseren Erfolg. Die Rastlosigkeit, die der deutschen Seele innewohnt, wird in guten Zeiten durch das Träumen in Erfindungen und Patenten veredelt.

In Krisenzeiten aber wächst in Deutschland die Gefahr, dass wachsende Unruhe und die gärende Unzufriedenheit sich in einen radikalen Wunschtraum von Allmacht und Angstabwehr übersteigern.

Es wird Zeit, miteinander zu reden, miteinander zu streiten. Einander wieder zuzuhören!

Das sagen WIR zu den Grünewald-Thesen

„Ich kann Begriffe wie vegan und vegetarisch nicht mehr hören. Man kommt sich vor, als wäre ein gemütlicher Grillabend mit Bratwurst und Bier ein Verbrechen. Und dann der ganze Hightech-Wahn. Verabredungen, Gespräche, alles nur via Internet. Keiner der an Allgemeinwissen armen Handy-Gläubigen weiß noch, wie man eine Unterhaltung führt.“

„Das Gehaltsgefälle zwischen dem ländlichen Gebiet und den Großstädten ist einfach viel zu groß, in den Großstädten sind Wohnungen viel zu teuer. Gerade das verbaut einem als jungem Menschen oft Möglichkeiten für seine berufliche Entwicklung.“

„Deutschland schaltet die eigenen modernen Atomkraftwerke ab und kauft dann teuren Atomstrom aus maroden Meilern in Frankreich. Der hohe Strompreis wird dann auf den kleinen Mann umgelegt, der diese verfehlte Politik ausbaden darf.“

„Die Politik schätzt die Bürger nicht mehr richtig wert, man fühlt sich nicht mehr repräsentiert. Oft entscheiden Politiker einfach, der Bürger bleibt außen vor. Beispiel CO2-Steuer. Man muss mehr auf den Bürger eingehen, es fehlt an Debatten.“

Es ist traurig, dass ich mit einem Kind von den Eltern unterstützt werden muss, um über die Runden zu kommen. Zum Sparen kommt man nicht, weil vom Gehalt nichts bleibt. Unsere einfachen, aber wichtigen Berufe werden nicht mehr wertgeschätzt.“

„Unsere Tochter lebt in Österreich. Dort hat sich einiges getan, zum Beispiel eine Steuersenkung. Bei uns tun die Eliten so, als müssten sie nichts ändern. Dass solche Dinge wie Homo-Ehe oder Atom-Ausstieg ohne Diskussion durchgewinkt werden, finden wir furchtbar.“

„Die Wirtschaft boomt, doch die Leute spüren nichts davon. Nach wie vor herrschen die gleichen Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit, obwohl doch offenbar Geld da ist. Der Leistungsdruck steigt, weil man zur Elite gehören will. Schon bei den Kindern machen sich Ängste bemerkbar.“

„Deutschland macht nicht das, was es machen sollte. Ich fühle mich von der Politik nicht verstanden. Wenn man etwas in die Wege leiten möchte, wird man durch Behörden und Anträge völlig ausgebremst. Im Gespräch mit Ausländern werde ich häufig ungläubig gefragt: ,Wie ist das für Sie als Deutscher?‘“

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