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Islam-Verbände wollen nicht über Homosexualität reden

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Was wird im Islam-Unterricht an deutschen Schulen gelehrt? Wie weit darf der Staat den Lehrplan bestimmen?

Seit Jahren arbeiten viele Bundesländer mit Islam-Verbänden wie Schura und Ditib zusammen. Besonders Ditib ist jedoch als Religionsbehörde des türkischen Staates dem Einfluss der Regierung von Recep Tayyip Erdogan ausgesetzt und steht daher in der Kritik.

Wer entscheidet nun letztlich über die Unterrichtsinhalte – der Staat oder die Islamverbände?

Ein Fall aus Norddeutschland, über den die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet, befeuert diese Debatte jetzt: In Niedersachsen dürfen Ditib-Vertreter als ausländische Staatsbedienstete keine Gefängnisse mehr betreten, um seelsorgerisch zu arbeiten – aber in Schulen sollen sie weiter unterrichten. Doch was im Religionsunterricht an der Grundschule gelehrt wird, darüber streiten Islam-Verbände und das Kultusministerium in Niedersachsen.

Der Konflikt entzündet sich an einer Passage über Schwule und Lesben.

► Das Land Niedersachsen will, dass auch im Islam-Unterricht erklärt wird, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden dürfen. Doch Ditib und Schura wollen sich nicht reinreden lassen. Niedersachsens Ditib-Vorsitzender sagt, Homosexualität sei im Islam „verboten“.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wird in BILD deutlich: „Ich bedauere, dass sich die Vertreter islamischer Verbände im Beirat gegen die Berücksichtigung sexueller Vielfalt im islamischen Religionsunterricht ausgesprochen haben. Den jetzt beanstandeten Formulierungen hatte zuvor ein Imam uneingeschränkt zugestimmt.“

Man habe dementsprechend entschieden und leiten den Entwurf jetzt dem Landtag zu. Weil: „Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung, aber ebenso das Recht auf Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung und freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das sollen auch Kinder und Jugendliche früh lernen.“

Lars Castellucci, kirchenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, sagte BILD: „Alle, die in unseren Schulen unterrichten, müssen auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen. Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung angefeindet werden.“

Auch von der angesehenen Integrationsexpertin Düzen Tekkal kommen kritische Worte: „Wenn Ditib nicht bereit ist, Antidiskriminierung von Schwulen und Lesben zu unterstützen, sollten die Alarmglocken schrillen.“

Niedersachsen hält an Zusammenarbeit mit Ditib fest

Wie geht es nun weiter? Die Landesregierung will den Passus zu Homosexualität zur Not auch gegen den Widerstand der Verbände durchsetzen – Ditib hat angedroht, dagegen zu klagen.

Nun hat sich ein dritter Verband gegründet, der bei dem Thema mitreden will: Er nennt sich „Muslime in Niedersachsen“ und scheint eher bereit zu sein, auf das Kultusministerium zuzugehen – aber der Ausgang des Streits ist offen.

Die Landesregierung sagt, sie halte weiter an einer Zusammenarbeit mit Ditib im Bildungsbereich fest. Christoph de Vries, CDU-Innenexperte, stellt das in Frage: „Vielleicht müssen wir uns einen anderen Partner suchen.“

54 000 Schüler haben Islam-Unterricht

Im Schuljahr 2017/2018 nahmen laut einer Umfrage unter den Bundesländern deutschlandweit 54 000 Schüler am islamischen Religionsunterricht teil.

Dabei gibt es verschiedene Modelle: In Bayern und Schleswig-Holstein liegt der Unterricht allein in staatlicher Hand, Religionsgemeinschaften sind nicht daran beteiligt. In Niedersachsen sind Schura und Ditib Kooperationspartner, dort wurde der islamische Religionsunterricht im Schuljahr 2013/2014 eingeführt. Die Unterrichtssprache ist deutsch. In Nordrhein-Westfalen bestimmt ein Beirat Inhalte des Unterrichts und das Lehrpersonal.

Debatte über Islam-Unterricht auch in NRW

In Nordrhein-Westfalen soll der Islam-Unterricht an Schulen ausgebaut werden, heißt es dort von Staatskanzlei und Schulministerium. Dies sei „Ausdruck der Religionsfreiheit“ und auch wichtig für die gesellschaftliche Integration des Islam. Und: „Er beugt außerschulischer religiöser Bildung in Hinterhofmoscheen vor.“

Derzeit nehmen etwa 20 000 Schüler an rund 250 Schulen am islamischen Religionsunterricht teil. Der Bedarf ist aber deutlich größer und wächst. Zur Zukunft des 2012 eingeführten regulären Schulfachs heißt es in der Landesregierung, man arbeite intensiv an einer neuen Gestaltung.

Der Grund: In wenigen Monaten läuft eine Übergangslösung aus. Die vier größten Islamverbände sind seit 2012 in einem Beirat an der Erstellung von Lehrplänen oder der Erteilung einer Lehrerlaubnis für die Religionslehrer beteiligt. Dabei musste aber die umstrittene Islam-Organisation Ditib ihren Sitz im Beirat vor zwei Jahren niederlegen. „Die Ditib muss sich aus ihrer Abhängigkeit und dem unmittelbaren Einfluss des türkischen Staats lösen“, sagte ein Sprecher der Staatskanzlei.

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