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Hoffenheimer CL-Offenbarung: Julian Nagelsmann ist dem Klub entwachsen

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Hinkt seinen eigenen Ansprüchen in Hoffenheim hinterher: TSG-Trainer Julian Nagelsmann.

Von Michael Wilkening, Sinsheim


Unter Trainer Nagelsmann reift die TSG Hoffenheim zu einem hochklassigen Fußballteam. Doch für Siege in der Champions League reicht’s nicht. Das Lyon-Duell zeigt, warum der ehrgeizige Coach den Klub bald folgerichtig verlässt.

Julian Nagelsmann war sich ganz sicher. An fehlender Erfahrung in Spielen mit internationalem Anstrich, versicherte der Trainer der TSG Hoffenheim, habe es nicht gelegen, dass seine Mannschaft dem Gegner das Tore schießen dermaßen einfach gemacht hatte. Den Kickern von Olympique Lyon blieb beim 3:3 in der Champions League gar nichts anderes übrig, als dies drei Mal humorlos auszunutzen. Gegen das Spitzenteam aus Frankreich hatten sich die Fußballer aus dem Kraichgau in einzelnen Situationen dilettantisch angestellt. Und so gibt es nur eine schlüssige Erklärung: Im Kader der Hoffenheimer fehlt es an Qualität, um in der Champions League nicht nur ansehnlich Fußball zu spielen, sondern das darüber hinaus mit guten Resultaten zu garnieren.

Das ist eine bittere Erkenntnis nach drei Königsklassen-Duellen der Hoffenheimer, in denen sieben Punkte möglich waren, es aber nur zu zwei Unentschieden reichte. Die Spielidee des Trainers genügt den Ansprüchen im hochklassigsten Wettbewerb, den es im europäischen Klubfußball gibt. Die Fähigkeiten des Personals reichen jedoch nicht. Es ist erstaunlich, wie es Nagelsmann gelungen ist, mit seiner Mannschaft mit Schwergewichten wie Manchester City, Schachtar Donezk und eben Lyon mitzuhalten. Doch es wird vermutlich nicht reichen, sich in der Gruppenphase gegen sie durchzusetzen. Nagelsmann gelingt es, seine Spieler auf ein höheres Niveau zu heben, aber natürliche Grenzen vermag er nicht zu verschieben. Die Einflussnahme des Trainers endet in den Momenten, in denen grobe individuelle Fehler der eigenen Spieler Gegentore nach sich ziehen. Gegen Lyon gab es zwei davon, beim 1:2 gegen Manchester sorgte einer für den zweiten Treffer der Engländer.

Es spricht für Nagelsmann, der weiterhin der jüngste Trainer in der Bundesliga ist, dass er schon im zurückliegenden Frühjahr zu der Erkenntnis gelangte, in der Entwicklung mit dem aktuellen Klub an der Decke angelangt zu sein. Früh hatte sich der mitunter überehrgeizige 31-Jährige deshalb entschieden, die Hoffenheimer im Sommer 2019 mittels einer im Vertrag eingebauten Ausstiegsklausel zu verlassen. Nagelsmann fühlte bereits, was sich mittlerweile deutlich zeigt: Er ist dem Klub, der ihn im Alter von 28 Jahren zum jüngsten Cheftrainer der Liga-Geschichte machte, inzwischen entwachsen. Den Hoffenheimern sind finanziell und infrastrukturell (selbst auferlegte) Grenzen gesetzt, die ihren Coach am Vorankommen hindern.

Ehrgeiziger Jung-Trainer will mehr erreichen

"Man kann sich im Leben nie etwas dafür kaufen, was gewesen ist", sagte Nagelsmann nach dem unterhaltsamen Fußballspiel gegen Lyon, das voller Höhepunkte und Wendungen und somit für neutrale Beobachter begeisternd war. "Man muss sich immer wieder neu bestätigen." Die Aussage war nicht auf seine eigene Person gemünzt, traf aber durchaus auf die eigene Situation zu. Es reicht Nagelsmann nicht, die TSG in der vergangenen Spielzeit auf den dritten Rang in der Liga und damit erstmals in die Champions League geführt zu haben. Der Trainer will mehr erreichen, Platz drei soll nicht das Maximum bleiben – und deshalb zieht er im kommenden Sommer zu RB Leipzig weiter.

Es ist eine Gefahr für Trainer, ihren Abschied weit im Voraus anzukündigen. Oft verlieren sie innerhalb der Mannschaft an Autorität und damit an Einfluss. Die Amerikaner haben dafür den Begriff der "lame duck", der "lahmen Ente", erfunden. Es spricht für Nagelsmann, dass es in Hoffenheim dafür überhaupt keine Anzeichen gibt. In der Liga hinkt der Klub den Ansprüchen des Cheftrainers zwar hinterher und ist aktuell in der Tabelle auf dem achten Rang platziert. Mit Nagelsmanns feststehendem Abgang hat das aber nichts zu tun. Die Spieler haben längst erkannt, dass ihr charakterstarker Trainer sie besser macht.

Nagelsmann kämpft in seiner Abschiedsspielzeit in Hoffenheim mit Hingabe dagegen an, den Qualitätsverlust im Kader auszugleichen. Seit Sommer 2017 musste die TSG mit Niklas Süle, Sebastian Rudy, Sandro Wagner und Mark Uth allein vier deutsche Nationalspieler abgeben. Auch der ausgeliehene Serge Gnabry musste die Hoffenheimer wieder verlassen. Sie alle wurden mit der Hilfe von Nagelsmann zu gut für den Klub im Kraichgau und folgten einer Logik des Marktes, der sich der Trainer genauso wenig verschließen konnte.

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