Politik

„Gesundheit wird zur Ware“

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Die Verbraucherschutz-Zentrale in Hamburg kümmert sich seit Jahren um Versicherte, die Ärger mit ihrer Krankenkasse haben.

Christoph Kranich, Abteilung Gesundheit und Patientenschutz, kümmert sich in den nächsten Wochen auch um die vielen BamS-Leser, die uns vorige Woche ihre Erlebnisse mit Kassen geschilderten haben. Sie bekommen von Kranich und seinem Team eine kostenfreie Rechtsberatung.

Im BamS-Gespräch ärgert sich auch Kranich über die teilweise eigenwillige Entscheidungspraxis der Krankenkassen und gibt Versicherten Tipps, wie sie sich wehren können.

  • So tricksen die Kassen

    Krankenkasse verweigert Lenn (6) ein Therapie-Dreirad

    Für die Krankenkasse geht es um höchstens 1500 Euro. Doch für den kleinen Lenn mit einem seltenen Gen-Defekt geht es um so viel mehr.

BILD am SONNTAG: Nimmt der Ärger der Verbraucher mit den Krankenkassen zu?

CHRISTOPH KRANICH: „Wir bekommen jedes Jahr mehr Fragen und Beschwerden über die gesetzlichen Krankenkassen, aber auch über die privaten Krankenversicherungen. Der Ärger nimmt zu, vielleicht auch die Bereitschaft, ihn nicht nur im Freundeskreis zu äußern.“

Was sind die typischen Probleme, die Ärger verursachen?

Kranich: „Am häufigsten geht es um die Höhe der Beiträge, die bei freiwillig Versicherten kompliziert berechnet werden, und um Beitragsrückstände, also dass Menschen ihre Beiträge nicht bezahlt haben und hohe „Strafgebühren“ abstottern müssen – und das häufig erst recht nicht können. Ebenso oft kommt es vor, dass die Kassen Leistungen verweigern und wir prüfen sollen, ob die den Patienten zustehen oder nicht. Auch Fragebögen der Krankenkassen sind ein Problem, denn nach medizinischen Details darf nur der Medizinische Dienst der Krankenversicherung fragen.“

Wie können sich Verbraucher wehren?

Kranich: „Widerspruch empfehlen wir häufig. Wir vermuten, dass auch Krankenkassen gemerkt haben, dass es sich finanziell lohnt, eigentlich berechtigte Anträge erst mal abzulehnen, weil die meisten Versicherten das schulterzuckend akzeptieren und nur wenige mit Widerspruch oder gar Klage vor dem Sozialgericht dagegen vorgehen.“

Warum sind Krankenkassen trotz ihrer enormen finanziellen Rücklagen so zurückhaltend mit ihren Entscheidungen?

Kranich: „Krankenkassen stehen im Wettbewerb. Wenn sie mit dem Beitragssatz nicht auskommen, müssen sie einen höheren Zusatzbeitrag erheben – das hat der ersten großen Kasse, die das musste, gleich zehn Prozent der Mitglieder gekostet. Seitdem tun sie alles, um durch kluges Sparen über die Runden zu kommen. Das kann aber ziemlich unmenschliche Züge annehmen: Manchmal haben wir den Eindruck, dass alte und kranke Menschen, die wenig einzahlen und viele Leistungen brauchen, durch schlechte Behandlung zum Kassenwechsel gedrängt werden, während Junge und Gesunde gezielt angelockt und umworben werden. Krankenversicherung wird so zum Markt und Gesundheit zur Ware.“

Welche Forderungen haben Sie an die Politik?

Kranich: „Wir fordern eine Bürgerversicherung – oder, mit anderen Worten, ein einheitliches Krankenversicherungssystem, bei dem nicht das Geldverdienen oder -sparen, sondern wieder die gegenseitige Solidarität der Mitglieder im Vordergrund steht. Denn das ist das eigentliche Prinzip des Krankenkassensystems: Wer mehr beitragen kann, gibt mehr; wer krank ist und Unterstützung braucht, darf das Notwendige nehmen. Dieses Solidarsystem sollten wir nicht durch Geldgier und Gewinndenken zerstören.“

Deutsche fühlen sich zu wenig informiert

Fast jeder zweite Deutsche fühlt sich nicht ausreichend über seine Patienten- und Versichertenrechte informiert. Das ergab eine Emnid-Umfrage für BamS (500 Befragte).

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