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Die Lehren des 13. Spieltags: Kovac redet FCB schön, Gladbach verpennt

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Findet den FC Bayern super: Niko Kovac.

Von Judith Günther und Anja Rau


Während der BVB sich eine Rausch-Pause gönnt und dennoch siegt, verkauft der FC Bayern einen Arbeitssieg als Spitzenklasse. Trainer Niko Kovac und Präsident Uli Hoeneß beweisen Mut: zur Lücke. Den Fans muss man gut zuhören.

1. Der BVB pfeift auf Spitzenfußball

Es gibt eine naheliegende Antwort, worüber sich eine Spitzenmannschaft definiert: Guter, am liebsten hervorragender Fußball. Es existieren jedoch alternative Sichtweisen, das hat Borussia Dortmund an diesem 13. Spieltag der Bundesliga eindrucksvoll bewiesen. Vom Spitzenfußball war die Elf von Trainer Lucien Favre gegen den SC Freiburg nämlich ähnlich weit entfernt wie der FC Schalke von der Tabellenspitze. Gewonnen hat der BVB trotzdem. Genau aus diesem Grund steht der Verein da, wo er aktuell steht: auf Platz 1. Auch wenn der Spitzenplatz nicht immer mit Spitzenfußball einhergeht.

"Wo ein Alcácer ist, ist auch ein Weg."

Gegen den von Trainer Christian Streich angerührten Breisgau-Beton brachte die Favre-Elf trotz 70 Prozent Ballbesitzes wenig zustande, erst ein Elfmeter von Marco Reus sorgte für Befreiung. Mindestens so beeindruckend wie die Fähigkeit, auch diese unangenehm zähen Malocherspiele zu gewinnen, ist jedoch etwas anderes: Der Kerngedanke von Mannschaftssport wird in Dortmund in beeindruckender Art und Weise ausgelebt. Exemplarisch dafür ist eine Szene in der 90. Minute: Jadon Sancho dribbelte virtuos über links in Richtung Strafraum und legte quer auf Łukasz Piszczek, der in guter Schussposition war. Statt selbst draufzuhalten, bediente er Superjoker Paco Alcácer, der – mal wieder – nur ins leere Tor einzuschieben brauchte. Dass der iberische Wunderstürmer derzeit sämtliche Liga-Rekorde pulverisiert, liegt an seiner individuellen Klasse, keine Frage. Die wäre jedoch ohne die anderen zehn Spieler kaum was wert. Frei nach dem Motto "Wo ein Alcácer ist, ist auch ein Weg", kann dem BVB das Thema Spitzenfußball also weiterhin herzlich egal sein. Spitzenplatz reicht.

2. Der FC Bayern ist so gut wie Kovac sagt

Es wäre interessant zu wissen, wie Niko Kovac ein richtig gutes Spiel seines FC Bayern bewerten würde. Vieles deutet darauf hin, dass sich der sonst nicht für überschäumende Emotionen bekannte Trainer in Superlativen ergehen würde. Momentan ist der FC ja eher mittelmäßig unterwegs, Kovacs Urteil allerdings schon fast irritierend euphorisch. Er habe ein "außerordentlich gutes Spiel von uns" gesehen, hatte Kovac nach dem hart erkämpften 2:1 (1:1)-Erfolg bei Werder Bremen gesagt. Das ist ein beachtlicher Mut zur rhetorischen Lücke. "Defensiv alle zusammen, gemeinsam gegen den Ball, schnelle Umschaltsituationen, so hat es mir gefallen." Nun ist gegen psychische Aufbauarbeit sicher nichts einzuwenden. Kovac vermittelt allerdings den Eindruck, die Realität nach seinem Geschmack zurechtbasteln zu wollen: Der FC Bayern spielt so gut, wie ich es sage.

Nur, um das nochmal zu betonen: Gegen Werder waren gute Ansätze erkennbar und vor allem Serge Gnabry mischt seit einigen Wochen das oft konservative Offensivspiel auf. Das macht Freude, weil es so schön anzusehen wie überraschend ist. Aber außerordentlich gut? Denkt man da nicht an jene großen Fußballabende wie den bei Real Madrid in diesem Mai, als der FC Bayern den stolzen Heldentod starb und erhobenen Hauptes aus der Champions League ausschied? Vielleicht hat Kovac aber auch Recht mit seiner Einschätzung. Damit hätten sich allerdings die Verhältnisse beim Klub massiv verschoben. Dann wäre ein verdienter Arbeitssieg gegen Werder Bremen wirklich außerordentlich gut – weil in den vergangenen Wochen vieles außerordentlich schlecht war.

3. Hoeneß erwägt Abschied aus den falschen Gründen

2016 kam Uli Hoeneß aus dem Gefängnis, wo er wegen Steuerhinterziehung eingesessen hatte. Seine erste Mitgliederversammlung beim FC Bayern verlief anschließend ganz nach seinem Geschmack: Jubelnde Vereinsmitglieder, die ihn wieder zum Präsidenten wählten. Heile FC-Bayern-Idylle. Doch nun knallt es. Hoeneß ist nicht mehr der Präsident vor Gottes Gnaden. Stattdessen wagte es ein Mitglied, ihn bei der Versammlung am Freitag öffentlich zu kritisieren. Wie reagierte der Präsident darauf? Zunächst gar nicht, er antwortete einfach nicht, es gab keine Diskussion. Erst später sagte er: "Ich war schockiert!" Und sein Fazit: "Ich hoffe, dass es sich wieder ändert, sonst ist es nicht mehr mein FC Bayern."

Und dann äußerte er sogar Rücktrittsgedanken: "Ich werde in aller Ruhe in den nächsten Wochen und Monaten beobachten, wie sich das entwickelt, und werde mir viele Gedanken machen, denn dieser Abend geht nicht spurlos an einem vorüber. Ich werde dann entscheiden, was ich will und was ich nicht will." Ein möglicher Rückzug, der wäre für den kriselnden FC Bayern vielleicht nicht das Schlechteste. Ein Umbruch auch in der Chefetage wäre dadurch möglich. Falsch dafür wären allerdings Hoeneß' Gründe. Er würde sich verabschieden, weil er bockig ist. Weil es "nicht mehr mein FC Bayern" ist, wenn ein Bayern-Mitglied und -Fan den Bayern-Präsidenten öffentlich kritisiert. Das alles schmeckt ihm überhaupt nicht. Dass es gute Gründe gibt, ihn zu kritisieren, missachtet Hoeneß dabei: Seine harsche Kritik an Juan Bernat, seine absurde Journalistenschelte (siehe "Auf-die-Fresse-Konferenz"), seine Reaktion auf die Kritik seines langjährigen Weggefährten Paul Breitner, seine Nicht-Rückendeckung für Kovac. Das alles wären Gründe. Aber wer austeilt, kann noch längst nicht immer einstecken.

4. Gladbach verschläft Anpfiff – mal wieder

"Das passiert uns leider momentan zu oft, dass wir schnell in Rückstand geraten", sagte Dieter Hecking nach dem 4:1-Sieg gegen Hannover 96. Am 12. Spieltag hatte es bereits in der 1. Minute im Kasten von Mönchengladbachs Torhüter Yann Sommer geklingelt. Genauso wie schon am 9. Spieltag, als es gegen den SC Freiburg ging. Lars Stindl pflichtete also seinem Trainer bei und warnte vor dem Spiel gegen RB Leipzig: "Das müssen wir unbedingt abstellen, denn es wird nicht jedes Mal klappen, einen so frühen Rückstand aufzuholen." Da wusste er noch nicht, wie recht er damit haben würde. Drei Minuten waren am Sonntagnachmittag gespielt, als Timo Werner seinen ersten Treffer erzielte. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit folgte sein zweites Tor. 2:0, damit war Gladbach geschlagen.

Hinterher meinte Werner, so früh zu treffen, das sei wie mit einer Führung ins Spiel zu gehen – oder halt, aus Gladbacher Sicht, mit einem Rückstand. Eine Erklärung hat Borussen-Coach Hecking nicht für dieses Phänomen, er beschwört: "Es wird sich wieder legen." Bislang schoss sein Team anschließend trotzdem Tore und katapultierte sich damit sensationell in die Spitzengruppe. Blöd gelaufen, dass gegen Leipzig nun die zweite Gladbacher Serie endete: Erstmals seit dem 28. Spieltag der Vorsaison (0:0 gegen den FSV Mainz 05) blieben die Fohlen torlos. Zweiter sind sie zwar trotzdem noch, den BVB mussten sie aber auf sieben Punkte enteilen lassen.

5. Wolfsburg zeigt der Eintracht ihre Schwächen

"Wir werden sicher auch mal wieder ein Spiel verlieren, aber dann muss der Gegner sehr gut sein." Das hatte Eintracht Frankfurts Trainer Adi Hütter nach dem sensationellen 4:0-Sieg gegen Olympique Marseille in der Europa League gesagt. Nun hagelte es eine 1:2-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg. Die Niedersachsen waren also ein "sehr guter" Gegner? Nun gut, immerhin gelang ihnen damit der zweite Sieg hintereinander – und das gegen zwei Spitzenteams, nachdem in der Vorwoche schon RB Leipzig 1:0 besiegt wurde. Wolfsburg-Coach Bruno Labbadia lobte sein Team: "Auch wir haben eine gute Offensive." Und in der Tat: Wolfsburg mausert sich wieder. Auch die Mentalität stimmt.

Wem gehört er denn nun, der Fußball?

Dennoch liegt die Ursache für die Eintracht-Niederlage wohl eher in der folgenden Erkenntnis Hütters: "Wir müssen immer an die Leistungsgrenze gehen. Wenn wir das machen, sind wir richtig gut. Aber wenn wir zehn Prozent nachlassen, kann uns jeder schlagen." Auch ein nicht sehr guter Gegner, auch ein VfL Wolfsburg, so wie am Sonntagabend. Die sonst in dieser Saison übliche Frankfurter Torgefahr fehlte, der zehnte Saisontreffer von Luka Jovic kurz vor Schluss war nur Ergebniskosmetik. Zudem wirkte Frankfurts Defensive ungeordnet. Drei Tage nach der Europa-Party ist das aber vielleicht kein Wunder.

6. Den Fans muss man zuhören

Favre hat es knackig formuliert. "Ich würde alle Spiele am Montag total verbieten. Das ist lächerlich", sagte der Trainer von Borussia Dortmund, nachdem die eigenen Fans in den ersten 45 Minuten weitestgehend geschwiegen hatten. Sie taten das, um ihrem Unmut über die Terminierung durch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) eine Stimme zu verleihen. Aber auch, um gegen die generelle Zerstückelung der Spieltage über alle Ligen hinweg zu protestieren. Fußballfan darf kein Vollzeitjob sein. Und wer das noch nicht verstanden hat, täte gut daran, endlich einmal zuzuhören. Niemand hat etwas dagegen, dass mit Fußball Geld verdient wird. Doch die Art und Weise, wie die Kommerzialisierung durchgedrückt wird, droht für die Verantwortlichen zum Bumerang werden. Deswegen ist es gut, wenn die Fans eine kollektive Stimme finden.

Fußballfans sind keine Anteilseigner oder potenzielle Investoren, für die der Sport eine Marketingveranstaltung ist. Sie kommen um zu feiern und zu leiden, ihr Team anzufeuern, oft bedingungslos. Das Stadion ist immer auch emotionale Heimat, aber das Wechselspiel zwischen Fans und Verein, Tribüne und Spielfeld, darf keine einseitige Sache sein. Wenn die Fans wie an diesem Wochenende schweigen, haben sie etwas Wichtiges zu sagen. Dass die DFL d­­ie Montagsspiele zur Saison 2021/22 abschafft, ist ein erster Schritt. Der aber darf nur der Anfang sein.

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