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Derbypleite mach S04 kleinlaut: Auf der Suche nach der Leichtigkeit

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Weston McKennie sieht man die Enttäuschung nach dem Spiel an.

Von Arnulf Beckmann, Gelsenkirchen


Der Fußball-Vizemeister der vergangenen Saison gleicht einer Großbaustelle: Verletzungssorgen, Defensiv-Fehler, Schwächen in der Spielanlage. Und der Trainer tut sich schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Es klang schon ein wenig trotzig, als die Stadionbesucher, sofern sie es mit den Schalkern hielten, bei der obligatorischen Verlesung der Aufstellung vor allem ihren Trainer laut und vernehmlich hochleben ließen. Ein langgezogenes "T-E-D-E-S-C-O" hallte durch die Gelsenkirchener Fußball-Arena, gerade so, als wollten sie die geplante vorweihnachtliche Bescherung im Revierderby gegen Borussia Dortmund herbeischreien.

Doch rund zwei Stunden später klang das alles deutlich kleinlauter. Nach Toren von Thomas Delayney (7.) und Jadon Sancho (74.) und dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch einen von Daniel Caligiuri verwandelten Foulelfmeter (61.) hatten die Hausherren ein Match verloren, das im Vorfeld zu einem Wendepunkt in einer bis dahin recht verkorksten Saison hochstilisiert worden war. Am Ende brachte es eine weitere Enttäuschung für die leidgeprüfte Schalker Seele. "Natürlich ist es schade, dass wir das Spiel heute verloren haben", so Tedesco nach Spielende. "Wir hatten mehr Ballbesitz und die bessere Passquote."

Was er verschweigt: Es war eine durchwachsene Begegnung. Die 153. Pflichtspiel-Auflage des wohl elektrisierendsten Derbys im deutschen Fußball hatte viel versprochen – und am Ende wenig gehalten. Das lag zum einen an einer kämpferisch zwar tadellosen, spielerisch aber eher dürftigen Darbietung der Gäste aus Dortmund, die in dieser Spielzeit des Öfteren schon mit Hochglanzfußball begeistert hatten. Zum anderen aber trugen auch die Schalker nicht unwesentlich zu dieser niveauarmen Aufführung vor 61.767 Besuchern in der ausverkauften blau-weißen Heimspielstätte bei. Vor allem offensiv lief gegen den Tabellenführer nur wenig zusammen. "Was schlichtweg bei uns fehlt, ist die Durchschlagskraft", analysierte Tedesco treffend. "Wir finden den Spieler in der Box nicht."

Festhalten am Trainer

Insofern darf man sich schon verwundert die Augen reiben, angesichts der Nibelungentreue des Schalker Anhangs zu seinem Trainer. Das gemeinhin nervöse Umfeld des Revierklubs hat in der bewegten Vergangenheit die sportlich Verantwortlichen schon wegen deutlich geringerer Fehlleistungen in die Wüste geschickt. Eine der größten – aus Sicht der blau-weißen Fangemeinde – war neben dem katastrophalen Fehlstart von fünf Niederlagen zu Beginn der Saison die gestrige 1:2-Pleite im prestigeträchtigen Revierderby gegen den ewigen Kontrahenten aus Dortmund. Schlimmer noch: Die beiden Erzfeinde trennen in der Tabelle mittlerweile sagenhafte 22 Punkte. Während Schwarz-Gelb äußerst zielstrebig der neunten deutschen Meisterschaft entgegensteuert, dümpelt Blau-Weiß der Abstiegszone entgegen.

Dennoch erfährt der 33-jährige Fußball-Lehrer Rückendeckung von allen Seiten. Jüngst äußerte sich sogar Klubchef Clemens Tönnies zu seinem Angestellten, nachdem der Unternehmer aus Rheda-Wiedenbrück viele Monate mediale Enthaltsamkeit gelebt hatte. Es gebe, so der Aufsichtsratsvorsitzende, "nicht den Ansatz eines Zweifels, dass er uns aus dem Tal führen wird."

Denn da sind sie mittlerweile: im Tal. Mit 14 Punkten aus 14 Saisonspielen fällt der sportliche Ertrag dieser Spielzeit äußerst dürftig aus. Mindestens ebenso frustrierend wie das nackte Zahlenwerk sind die wenig mitreißenden Auftritte des blau-weißen Kickerensembles. Das Spiel der Schalker wirkt oft statisch, geradezu als ob es im Packeis der Taktik erstarrt. Zudem unterlaufen der Defensive, in der vergangenen Saison noch das Glanzstück des Vizemeisters, immer wieder haarsträubende Fehler. So auch wieder im Spiel gegen Dortmund, wo es nur schwer nachvollziehbar war, wieso Delayney nach einem Freistoß aus dem Halbfeld so verantwortungslos frei zum Kopfball und damit zum Tor kommen konnte. Und beim 1:2 durch Sancho macht Sebastian Rudy eine sehr unglückliche Figur. Noch am Tag vor dem Spiel hatte Tedesco den Zugang vom FC Bayern München mit Sonderlob bedacht, beim Zuspiel von Raphael Guerreiro auf den Torschützen hätte der defensive Mittelfeldspieler den Laufweg Sanchos erahnen müssen.

Ohne Glück, ohne Stürmer

Zur Einordnung des gestrigen Ergebnisses gehört aber auch, dass den Gelsenkirchenern das Matchglück der vergangenen Saison abhanden gekommen und vom einstigen Überangebot im Sturm so gut wie nichts mehr übriggeblieben ist. Mark Uth, Breel Embolo, Steven Skrzybski und nun auch Guido Burgstaller befinden sich im Krankenstand, Cedric Teuchert und Yevhen Konoplyanka wurden vom Trainer zunächst nicht für gut befunden, den Österreicher, der nach 35 Minuten verletzt ausschied, zu ersetzen, Franco di Santo schaffte es trotz der Verletztenmisere nicht einmal in den Kader. Zur Verwunderung vieler stürmten dann mit Hamza Mendyl ein gelernter Außenverteidiger und mit Weston McKennie ein Mittelfeldspieler. Das Ergebnis ist bekannt.

Auffallend auch, dass die nach außen noch immer so harmonisch wirkende Schalker Welt offensichtlich erste Risse bekommen hat. Nabil Bentaleb, neben Rudy der zweite Spieler, dem Tedesco eine bislang starke Saison attestierte, verweigerte bei seiner Auswechslung in der 55. Minute den Handschlag, der Trainer spielte das hernach herunter. "Es ist doch logisch, dass er nicht zufrieden war, als ich ihn im Derby ausgewechselt habe", sagte er. "Ich habe ihm dafür durch das Gesicht gestreichelt."

Auch Naldo war zu guter Letzt noch einmal Thema. Der Brasilianer, der dem BVB noch vor gut einem Jahr mit seinem Tor zum 4:4-Ausgleich eine Nahtoderfahrung bescherte, sah das Derby nur von der Bank aus. Das gesamte Stadion hätte ihn gern bei den letzten Standards gesehen, eine Option für Tedesco war er nicht. Dem Trainer fehlt derzeit offensichtlich auch das Gespür für die Situation. "Wir sind intakt, wir sind gut drauf, wir haben Bock", hatte er noch vor dem Derby verkündet. Nach dem Spiel klang das dann so: "Wir müssen weiter Gas geben."

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