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Bundesregierung „halbherzig“ bei NS-Raubkunst

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Schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung wegen ihres Umgangs mit möglicher NS-Raubkunst!

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses Ronald S. Lauder (74) nennt im BILD-Interview die Versuche der deutschen Behörden zur Klärung der Herkunft ihres großen Kunstschatzes „weiterhin halbherzig“.

Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende habe es Deutschland versäumt, mit gutem Beispiel voranzugehen, sagt Lauder. Anlass seiner Kritik: Derzeit befinden sich rund 2500 Kunstgegenstände im Besitz der Bundesregierung, bei denen es sich noch um Nazi-Raubkunst handeln könnte (BILD berichtete). Am Mittwoch beschäftigt sich deshalb auch der Bundestag in einer öffentlichen Experten-Anhörung mit dem Thema.

BILD: Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kann die Bundesregierung immer noch nicht ausschließen, dass NS-Raubkunst in ihren Ministerien liegt oder hängt. Was ist da schiefgelaufen?

Ronald S. Lauder: „Das alles ist sehr enttäuschend, denn es ist ein weiterer Beleg dafür, dass Deutschland, das Land mit der größten Verantwortung für dieses gesamte Problem, es versäumt hat, mit gutem Beispiel voranzugehen und das Richtige zu tun. Es ist auch schade, da in Deutschland Regierungen und auch die Bevölkerung auf so unterschiedliche Arten und Weisen offen mit der NS-Vergangenheit ihres Landes umgegangen sind. Aber seltsamerweise ist dies nicht der Fall, wenn es um einen der größten Diebstähle der Geschichte geht. Ich verstehe das einfach nicht, vor allem, weil es dem guten Ruf Deutschlands in der Welt schadet.“

Bei rund 2500 Kunstgegenständen in Händen der Bundesregierung ist die Herkunft weiterhin ungeklärt. Hat die Bundesregierung Ihrer Auffassung nach seit Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung alles getan, um die Herkunft ihres Kunstbesitzes zu klären?

Lauder: „Im Bereich der NS-Raubkunst agiert Deutschland weiterhin halbherzig. Ich habe Versprechen von Staatsministerin Grütters gehört, aber es gibt keine konkreten Ergebnisse. Nach wie vor gibt es Hürden, die es Erben verwehren, Gerechtigkeit zu erfahren. Es gibt keinen Grund dafür, dass dieses unverantwortliche Verhalten fortgeführt wird.“

Was empfinden Sie persönlich bei dem Gedanken, dass in Bundesministerien immer noch auf den Gängen oder in den Kellern Raubkunst hängen könnte?

Lauder: „Es ist doch sehr verblüffend und macht mich persönlich wütend. Hat denn über 70 Jahre lang niemand darüber nachgedacht, die Kunst im Besitz der Bundesregierung einmal gewissenhaft zu untersuchen? Wir wissen auch, dass 20 Jahre nach Unterzeichnung der Washingtoner Konferenz nur ein kleiner Teil der über 5000 öffentlichen deutschen Museen überhaupt mit Provenienzforschung begonnen hat. Und was ist mit all den öffentlichen Ämtern und Institutionen? Das ist einfach unverantwortlich.“

Derzeit kümmern sich laut Bundesregierung nur drei Angestellte in der Bundesverwaltung ständig um die Klärung der Herkunft der Kunstgegenstände. Reicht das?

Lauder: „Als ich davon zum ersten Mal hörte, war ich überzeugt, dass dies ein Witz sei. Ich bin sicher, dass die Provenienzforscher, die für die Regierung arbeiten, ihr Bestes geben. Aber angesichts der aktuellen Personalsituation wird die Arbeit ewig dauern. Wie ich schon sagte, das ist völlig inakzeptabel. Es widerspricht auch der Aussage von Staatsministerin Grütters, dass Deutschland alles in seiner Macht Stehende tun werde, um das NS-Raubkunst-Problem ein für alle Mal zu lösen.“

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Nun wird der Bundestag aktiv mit einer öffentlichen Anhörung zu diesem Thema: höchste Zeit?

Lauder: „Im Mittelpunkt der Anhörung steht die Reform der Beratenden Kommission. Doch eigentlich ist ein kompletter Neuaufbau notwendig. Die Limbach- Kommission hätte den Prozess vorantreiben sollen, anstatt hinter ihm zurückfallen – mit 15 Fällen in 15 Jahren ist das Ergebnis bescheiden. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Haus wieder aufbauen, aber das Fundament ist instabil. Ein Neuaufbau ist das einzige, was die Beratende Kommission auf Kurs bringen kann. Und das muss natürlich mit echtem politischen Willen unterstützt werden. Bereits bei der öffentlichen Anhörung im Jahr 2017 kamen Experten zu dem Schluss, dass die derzeitige Organisation der Kommission nicht transparent sei und dass sie das Vertrauen der Opfer nicht gewinnen könne. Seitdem hat sich nichts grundlegend geändert.

Die Opfer und ihre Erben können nicht länger warten. Die Anhörung in dieser Woche muss das anerkennen und den notwendigen politischen Druck für Veränderungen erzeugen. Ein weiteres Thema ist die Digitalisierung. Alle Kunstwerke in öffentlichen Sammlungen sollten auf einer zentralen digitalen Plattform zugänglich sein. Daran wird zwar gearbeitet, es geht aber nicht schnell genug.“

Glauben Sie, dass die Anhörung zu einer Verbesserung führen wird?

Lauder: „Das hoffe ich doch. Ich erwarte, dass die Anhörung den Reformprozess stark beeinflussen wird. Staatsministerin Grütters hat eine Reform angekündigt. Auch andere politische Parteien im Deutschen Bundestag, etwa die FDP, bringen wichtige Ideen ein oder haben sie bereits eingebracht. Aber, das ist kein Thema, das für politische Grabenkämpfe genutzt werden sollte. Was zählt, ist die Frage: Wie können wir eine umfassende Reform erreichen, die darauf abzielt, den Klägern bei der Suche nach ihrem rechtmäßigen Eigentum zu helfen?“

Sie kritisieren die Beratende Kommission schon sehr lange. Was sollte aus Ihrer Sicht konkret geändert werden?

Lauder: „Die Kommission muss endlich ihre Rolle als wirkliche beratende Kommission definieren und wahrnehmen. Alle Beteiligten müssen dem Gremium vertrauen können. Vor allem aber muss sie unabhängig vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste sein. Sie muss über ein eigenes Sekretariat verfügen, das die Antragsteller in gleicher Weise unterstützt wie den derzeitigen Inhaber des beanspruchten Kunstwerks, unabhängig davon, wo der Antragsteller seinen Wohnsitz hat. Eine einseitige Anrufung ist ebenfalls erforderlich, da keine öffentliche Einrichtung in der Lage sein sollte, ein Verfahren vor der Kommission abzulehnen. Es braucht eine neue Satzung und eine angemessene Finanzierung, um gemeinsam einen Fall erforschen zu können. Und die Kommission muss endlich ausgewogen und mit internationalen Experten besetzt werden. Das alles ist kein Hexenwerk und hätte schon vor Jahren passieren sollen. Was fehlt, ist der Wille.“

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