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Bundesrat sagt Abstimmung im letzten Moment ab!

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Länderkammer nimmt Abstimmung von der Tagesordnung

Eigentlich sollte heute im Bundesrat die Entscheidung fallen: Werden Georgien, Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsländern eingestuft? Die Union drängt darauf, der Bundestag hat schon entschieden.

Kurz vor der um 9.30 Uhr angesetzten Abstimmung dann die überraschende Wende: Thüringen stellte den Blitz-Antrag, den Punkt von der Tagesordnung zu nehmen! „Wir möchten das Angebot unterbreiten, über Asylverfahrensfragen und Statusrechte, die mit diesen Fragen verbunden sind, noch einmal gründlich in Gespräche einzutreten“, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).

Inzwischen ist klar: Die Abstimmung wird verschoben!

Das teilte der Vizepräsident des Bundesrates, Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenburg, am Freitag zu Beginn der Sitzung mit.

Offenbar fürchteten Befürworter des Gesetzes, dass keine Mehrheit zustande kommen würde. Bei 69 Sitzen im Bundesrat, müssten mindestens 35 Vertreter der Länder dafür stimmen. Wie viele Stimmen ein Land hat, hängt von der Bevölkerungsgröße ab.

Mit der Absetzung des Themas von der Tagesordnung ist die Hoffnung verbunden, noch zu einer Einigung zu kommen. Ein neuer Termin für die Abstimmung wurde nicht genannt, eine der nächsten Sitzungen sei möglich, hieß es.

Hier die Fakten zum Abstimmungskrimi

► Als sichere Herkunftsländer werden Staaten eingestuft, bei denen vermutet wird, dass es in der Regel weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung gibt. Das soll schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen ermöglichen.

Als sichere Herkunftsländer gelten derzeit unter anderem Ghana, Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Die Bundesregierung will vier weitere Länder einstufen.

Die Anerkennungsquote für Asylbewerber aus diesen Staaten lag im vergangenen Jahr bei jeweils unter zwei Prozent. Amnesty International beklagt jedoch, dass es in den drei Maghreb-Staaten Fälle von Verfolgung, Folter und Misshandlung gebe.

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Der Bundestag hatte dem Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Horst Seehofer (69, CSU) zur Einstufung der Maghreb-Länder Algerien, Marokko und Tunesien sowie Georgiens als sichere Herkunftsstaaten bereits Mitte Januar verabschiedet.

Ohne Zustimmung der Länderkammer kann das Projekt der Bundesregierung nicht umgesetzt werden – und hier reden Grüne und Linke ein gewichtiges Wort mit.

Um Landesregierungen mit Beteiligung der Grünen und Linken für ein „Ja“ zu gewinnen, enthält der Entwurf jetzt eine spezielle Rechtsberatung für Folteropfer, Homosexuelle und andere besonders schutzbedürftige Asylbewerber, die „aus Scham oder anderen Gründen“ Hemmungen haben könnten, ihre Fluchtgründe detailliert vorzutragen.

Baden-Württemberg hatte vorher signalisiert, dass sie zustimmen würden. Es müsste aber mindestens ein weiteres Bundesland zustimmen, in dem Grüne oder die Linkspartei mitregieren. So ist etwa offen, wie die rot-rote Regierung aus Brandenburg zu dem Thema steht. Brandenburgs Linke-Fraktionschef Ralf Christoffers hatte diese Woche gesagt, er gehe von einer Enthaltung aus. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte sich dagegen nicht ganz so eindeutig . Er sagte: „Wir haben im Kabinett pflichtgemäßes Ermessen vereinbart.“ Klartext: Schauen wir mal, entscheiden wir spontan. Woidke gehörte auch zu denen, die für eine Vertagung war.

Fakt ist: Die CDU-Ministerpräsidenten von Hessen (Schwarz-Grün), Schleswig-Holstein (Schwarz-Grün-Gelb) und Sachsen-Anhalt (Schwarz-Rot-Grün) wollen sich dem Widerstand der Grünen beugen – und dafür sorgen, dass sich ihr Land bei der Abstimmung im Bundesrat enthält. Das würde nicht für eine Mehrheit reichen.

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Grünen-Chefin Annalena Baerbock lehnte die Einstufung der vier Länder als sichere Herkunftsstaaten ab. „Das Instrument der sogenannten sicheren Herkunftsländer ist ein nicht unproblematischer Eingriff in das individuelle Asylrecht“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auch habe das Bundesverfassungsgericht klare Kriterien für die Einstufung festgelegt. Ein solches Land müsse verfolgungsfrei sein, und zwar in allen Regionen und für alle Bevölkerungsgruppen. „Das ist in den Maghreb-Ländern für Homosexuelle, Frauen, Journalisten oder Gewerkschafter nicht der Fall“, sagte die Grünen-Chefin.

CSU-Landesgruppen-Chef Alexander Dobrindt warf den Grünen eine „ideologische Blockade“ vor. Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat sei notwendig, um Verfolgten Schutz zu gewähren, aber Missbrauch zu verhindern. „Die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus diesen Ländern geht gegen null, aber die Verfahren binden wichtige Kapazitäten“, sagte Dobrindt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Fragen und Antworten zum Bundesratskrimi

Wie viele Menschen würde die Gesetzesänderung betreffen?

Das ist schwer zu sagen. Zwar weiß man, dass im vergangenen Jahr 7885 Menschen aus diesen vier Staaten einen Asylantrag gestellt haben. Allerdings taucht ein nicht unerheblicher Teil der jungen Maghrebiner in der Asylstatistik nicht auf, weil sie entweder gar keinen Asylantrag stellen oder erst Jahre nach der Einreise. Nur wenige Menschen aus diesen Staaten erhalten in Deutschland Schutz: Die Anerkennungsquote für Algerier lag 2018 bei 1,2 Prozent. Von den Marokkanern erhielten 2,3 Prozent Schutz. Bei den Antragstellern aus Tunesien waren es 1,9 Prozent. Von den 4265 Georgiern, die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vorstellig wurden, waren es nur 0,3 Prozent.

Was will die Bundesregierung mit ihrem Vorstoß erreichen?

Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern haben in der Regel kein Recht auf Asyl. Ihre Asylanträge können schneller bearbeitet werden. Auch die Fristen für eine Abschiebung sind kürzer. In der Praxis hält sich dieser Zeitgewinn zwar in Grenzen, wie Erfahrungen aus den vergangenen Jahren zeigen. Die Einstufung als „sicher“ hat aber schon eine gewisse Signalwirkung. In den Herkunftsländern spricht sich herum, dass die Chance auf Asyl in Deutschland gering ist, so dass sich weniger Menschen hierher auf den Weg machen.

Welche Argumente werden dafür ins Feld geführt?

In Tunesien, Marokko, Algerien und Georgien herrscht kein Krieg. Nach Einschätzung der Bundesregierung wird in den vier Staaten nicht systematisch gefoltert. Neue Migranten aus den Maghreb-Staaten, die ohne Visum kamen, sind in den vergangenen Jahren laut Polizei-Statistik deutlich häufiger straffällig geworden als etwa Zuwanderer aus Konfliktregionen wie Syrien oder Afghanistan. Beispielsweise waren unter den 677 mehrfach straffälligen Zuwanderern, die 2017 von der sächsischen Polizei ermittelt wurden, 101 Tunesier, 81 Marokkaner und 71 Georgier. Abschiebungen in die Maghreb-Staaten sind oft sehr aufwendig.

Warum war das Vorhaben 2017 im Bundesrat gescheitert?

Grüne und Linke sehen in den Maghreb-Staaten Defizite in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Unter anderem ist Homosexualität in diesen drei Staaten strafbar. Menschenrechtsorganisationen berichten über Folter in Gefängnissen und über Misshandlungen im Polizeigewahrsam.

Welche Staaten gelten heute schon als „sichere Herkunftsländer“?

Die afrikanischen Länder Ghana und Senegal sowie sechs Balkan-Staaten. Von diesen wurden zunächst Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im Herbst 2014 zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Grünen-Ministerpräsident Winfried Kretschmann erntete damals in der eigenen Partei viel Kritik, weil Baden-Württemberg zustimmte. Kretschmann handelte damals einige Verbesserungen für Asylbewerber heraus, unter anderem wurde der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Ein Jahr später kamen mit Albanien, Kosovo und Montenegro drei weitere Balkanstaaten auf die Liste der „sicheren Herkunftsländer“.

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